Im Fokus

Gestatten: Lilly Graber – Junioren Welt- und Vizeweltmeisterin im OL

von Fabio Baranzini – 14. September 2021

Die Aargauer OL-Läuferin Lilly Graber in Aktion

Bild: Swiss Orienteering

In unserer Rubrik «Im Fokus» stellen wir Sportlerinnen und Sportler aus dem Kanton Aargau vor, die mit ihren Leistungen für Aufsehen gesorgt haben. Diesmal ist es Orientierungsläuferin Lilly Graber (19) aus Biberstein, die an der Junioren WM für Furore gesorgt hat. 

Der Alltag hat Lilly Graber bereits wieder fest im Griff. Als wir sie am Montag telefonisch erreichen, ist es bereits kurz vor 19 Uhr. Vorher gings nicht, da die 19-jährige Bibersteinerin bereits wieder zur Arbeit ging. Aktuell absolviert sie ein Praktikum in einer Baumschule. Dies als Vorbereitung auf ihr Studium als Landschaftsarchitektin, das sie in rund einem Jahr in Angriff nehmen möchte.   

Viel Zeit, um die turbulente letzte Woche zu verarbeiten, blieb Lilly Graber also nicht. Und das obwohl letzte Woche so einiges geschah. Die Nachwuchsathletin durfte nämlich zum ersten Mal in ihrer noch jungen Karriere an den Junioren Weltmeisterschaften teilnehmen, die in der Türkei über die Bühne gingen. «Ich bin am Samstagnachmittag wieder in der Schweiz angekommen. Die Zeit zur Verarbeitung war also nur begrenzt, aber das Leben geht weiter», meint sie lachend. 

«Eine Medaille war mehr ein Traum als ein realistisches Ziel.»

Lilly Graber, Orientierungsläuferin

«Albtraum» zum WM-Auftakt 

Nach zwei Jahren ohne internationale Wettkämpfe wusste Lilly Graber vor der WM nicht genau, wo sie steht. Entsprechend formulierte sie ihre Ziele vorsichtig. «Ein Platz in den Top 10 wäre mega cool. Damit wäre ich mehr als zufrieden gewesen. Eine Medaille war mehr ein Traum als ein realistisches Ziel», sagt sie. Der Auftakt in den bisher grössten Wettkampf ihrer Karriere gelang Lilly Graber nicht wie gewünscht. Im Sprint klassierte sie sich nach einem fehlerhaften Lauf auf dem 76. Rang. «Das war ein ziemlicher Albtraum. Schon auf dem Weg zum ersten Posten hab ich mich verlaufen. Ich war wohl zu nervös und machte zu viele Fehler. Viel schlimmer hätte der WM-Start nicht sein können», sagt sie.  

Die Aargauer OL-Läuferin Lilly Graber in Aktion

Bild: Swiss Orienteering

Mittlerweile kann sie bereits wieder über ihren verpatzten WM-Start lachen. Vor Ort war die Enttäuschung allerdings gross. Trotzdem wusste sie: Über die Mittel- und Langdistanz, die im Wald gelaufen werden und nicht wie der Sprint in der Stadt, hat sie bessere Chancen. Bereits in der Qualifikation für die Mitteldistanz lief es Lilly Graber gut. Das Selbstvertrauen war zurück.  

Noch nicht realisiert 

«Im Final blieb ich ruhig und nahm mir immer genügend Zeit für meine Entscheidungen. Dass es dann aber gleich so gut gelaufen ist, kam mega überraschend. Ich hörte bei der Zuschauerpassage kurz vor Schluss, dass ich ganz vorne mitlaufe und gab für die letzten Posten noch einmal alles. Ich konnte es aber fast nicht glauben, dass ich tatsächlich Silber gewonnen habe», fasst Lilly Graber ihr Rennen zusammen.  

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Doch es blieb nicht bei der Silbermedaille. Beflügelt vom tollen Resultat über die Mitteldistanz setzte sie in der Langdistanz – der Königsdisziplin im OL-Sport – zum Höhenflug an. Mit einer fast fehlerfreien Leistung liess Lilly Graber die gesamte Konkurrenz hinter sich und holte den Weltmeistertitel in den Aargau. «Ich hätte nie erwartet, dass es für den Titel reichen könnte. Auch jetzt habe ich es noch immer nicht realisiert, was ich da geschafft habe. Das ist natürlich absolut genial», freut sich Graber. 

Im zweiten Anlauf vom OL-Fieber gepackt 

Zum OL-Sport hat Lilly Graber, die für die OLG Suhr läuft, wegen ihrer älteren Schwester Sophie gefunden. Sie war es, die zuerst vom OL-Fieber gepackt wurde und im Aargauer Regionalkader lief. Lilly Graber konnte sich anfänglich noch nicht fürs OL begeistern. «Erst als mir meine Schwester von den Trainingslagern im Ausland und den vielen coolen Erlebnissen erzählte, versuchte ich es ein paar Jahre nach dem ersten Schnuppertraining erneut mit dem OL-Sport. Ich besuchte ein paar Trainings und begann kurz darauf, erste Wettkämpfe zu laufen», erinnert sie sich.  

Orientierungsläuferin Lilly Graber steht auf dem Podest an der Junioren WM

Bild: Swiss Orienteering

2016 wurde dann auch Lilly Graber fürs Regionalkader selektioniert. Ein grosser Schritt. «Ich habe mir gut überlegt, ob ich ins Regionalkader wechsle oder nicht. Denn eines war klar: Wenn ich diesen Wechsel mache, dann werde ich deutlich mehr trainieren», erzählt Graber, die heute zehn bis fünfzehn Stunden pro Woche trainiert. Der Wechsel hat sich gelohnt. Lilly Graber steigerte sich kontinuierlich, durfte die Schweiz 2018 und 2019 an den Junioren Europameisterschaften vertreten und hat jetzt bei den Weltmeisterschaften gross aufgetrumpft. 

Weltcup als Traum 

Und nun? Folgt jetzt die grosse Karriere bei der Elite? «Schön wärs. Im Weltcup mitzulaufen, ist sicherlich ein Traum von mir. Ich setzte mich deswegen aber nicht zu sehr unter Druck. Das Entscheidende ist, dass ich Spass habe am Training und am OL-Sport. Natürlich muss ich auch schauen, wie sich mein Training mit dem Studium verbinden lässt. Aber die beiden WM-Medaillen haben mir schon aufgezeigt, was alles möglich ist.» Es ist also durchaus denkbar, dass die angehende Landschaftsarchitektur-Studentin Lilly Graber in absehbarer Zukunft auch auf höchster Ebene im OL-Weltcup an den Start gehen wird.    

Hinweis

In unserer Rubrik «Im Fokus» stellen wir einmal im Monat einen Sportler oder eine Sportlerin aus dem Kanton Aargau vor, die mit ihren Leistungen für Aufsehen gesorgt hat. Alle bisherigen Portraits findest du hier.