Sportförderung
«Sportvereine sind sehr oft in Routinen gefangen»
Bild: zur Verfügung gestellt
Mit Philipp Moor von «vereinscoaching.ch» sprechen wir über das Thema Zukunft von Sportvereinen. Welche Themen sind für die Zukunft relevant? Wie verschafft man sich im Alltag genügend Zeit, um sich überhaupt mit Zukunftsfragen auseinanderzusetzen? Und kann man die junge Generation noch für Vereinsarbeit begeistern?
Philipp, du befasst dich beruflich sehr intensiv mit Zukunftsfragen und legst den Fokus bei deinen Coachings auf Vereine. Ist das Thema «Zukunft» für Sportvereine heute wichtiger als noch vor ein paar Jahrzehnten?
Das Thema «Zukunft» war auch schon vor 50 und vor 100 Jahren wichtig. Aber im Vergleich zu damals hat sich die Ausgangslage verändert. Unsere Gesellschaft ist in den letzten paar Jahren viel schnelllebiger geworden. Die Leute haben viel mehr Möglichkeiten, wie sie ihre Freizeit gestalten möchten. Früher gabs den Musikverein und den Turnverein im Dorf. Mehr nicht. Da war die Konkurrenz also viel kleiner. Kommt hinzu, dass heute auch die Work-Life-Balance einen viel grösseren Stellenwert hat für viele Leute und sie daher ihre Engagements bewusster auswählen. Diese Dynamiken erschweren das Thema «Zukunft» für Sportvereine in der heutigen Zeit.
«Viele Vorstände jammern daher, dass die Jungen keine Zeit haben und sich nicht engagieren wollen. Aber das stimmt nicht.»
Wenn das Thema so wichtig ist, warum tun sich denn die Sportvereine aktuell so schwer mit dem Thema «Zukunft»?
Sportvereine sind sehr oft in Routinen gefangen. Der Klassiker dabei ist das Jahresprogramm, das Jahr für Jahr als Basis für die Vereins- und damit auch für die Vorstandsaktivitäten dient. Wenn man so arbeitet, ist der Planungshorizont immer nur ein Jahr. Weiter in die Zukunft blicken die Vereine daher kaum. Vor allem auch deshalb nicht, weil das Daily Business die Vorstände heute dermassen beschäftigt, dass kaum Zeit bleibt für die visionären und strategischen Fragen. Dieses Problem erkennen zwar viele Vereine, aber es ist unglaublich schwierig, aus dieser Situation auszubrechen.
Bild: Fabio Baranzini
Wird sich diese Entwicklung, die du eben beschrieben hat, in Zukunft noch verstärken?
Schwierig zu sagen. Ich glaube, die Dynamiken werden künftig dieselben bleiben. Was aber parallel noch mitläuft als zusätzliche Schwierigkeit ist die Generationenfrage. Die heutige junge Generation wächst anders auf als die Generation, die derzeit in den Vorständen sitzt. Wir alten Leute – und da zähle ich mich mit dazu – sind anders in einen Verein hineingewachsen und haben ein anderes Verständnis von Vorstandsarbeit und Kooperation. Viele Vorstände jammern daher, dass die Jungen keine Zeit haben und sich nicht engagieren wollen. Aber das stimmt nicht. Das Problem liegt meist darin, dass die Vereine nicht erkennen, wie man die nächste Generation aufnehmen und integrieren kann.
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Wie gelingt das denn? Oder andres gefragt: Wie tickt die neue Generation, die in ein paar Jahren in den Vereinen das Ruder übernehmen soll?
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass auch die heutige Jugend sich engagieren will und auch gewillt ist, ehrenamtliche Arbeit zu leisten. Was sie aber auch wollen ist Gestaltungsfreiheit in ihrer Aufgabe. Wenn man also beispielsweise einem jungen Mann oder einer jungen Frau sagt: Schau hier ist deine Aufgabe, das machen wir seit 20 Jahren so, mach das bitte auch so. Das wird nicht funktionieren. Die junge Generation will etwas bewegen, Verantwortung übernehmen und selbst gestalten können. Darauf muss man sich als Vorstand einlassen.
Wie schafft man das?
Wichtig ist, dass man den Jungen eine faire Chance gibt, sich zu beweisen. Wenn man potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten hat, sollte man diese über kleinere Aufgaben – beispielsweise ein Event oder einen Clubabend organisieren – an die Vereinsarbeit heranführen. Solche projektbasierten Arbeiten sind für Junge ebenfalls sehr attraktiv. Denn eine jahrelange Verpflichtung, die gerade die ältere Generation oftmals mit der Vorstandsarbeit verbindet, schreckt die Jungen eher ab.
«Die junge Generation will etwas bewegen, Verantwortung übernehmen und selbst gestalten können. Darauf muss man sich als Vorstand einlassen.»
Wir haben vorher davon gesprochen, dass es schwierig ist für Vereinsvorstände, die Spirale des Alltags zu durchbrechen, um sich mit Zukunftsfragen auseinanderzusetzen. Wenn ein Verein das erkennt und ändern möchte, wie soll er vorgehen?
Ich empfehle jeweils, dass sich ein Vorstand einen halben Tag oder einen Tag ganz bewusst Zeit nimmt, um sich mit der Vision und der Strategie des Vereins auseinanderzusetzen und so definiert, wie das Zukunftsbild des Vereins aussehen soll. Wichtig ist, dass man danach Ziele definiert, wie man dorthin kommt. Der nächste Schritt besteht dann darin, dass man sich Gedanken macht, ob man im Verein überhaupt die richtigen Positionen und Rollen hat, um diese Ziele zu erreichen. Allenfalls braucht es neue Strukturen und neue Leute, um diese Ziele zu erreichen.
Das klingt in der Theorie sehr gut. Ich kenne das aber aus der eigenen Vorstandstätigkeit: Man nimmt sich die Zeit, um eine Vision oder eine Strategie zu definieren und kehrt dann voll motiviert zurück in den Alltag. Doch dort folgt schnell die Ernüchterung. Entweder wird man sofort wieder vom Vereinsalltag in Beschlag genommen oder man findet niemanden, der die angedachte Vision oder Strategie mittragen und entsprechend mithelfen will. Was mache ich dann?
Entscheidend ist eine realistische Planung. Tiefgreifenden Veränderungen wie Umstrukturierungen oder Neuausrichtungen brauchen Zeit. Es ist unmöglich, alles auf einmal zu verändern. Grundsätzlich bin ich aber der Meinung: Wenn ich selbst absolut überzeugt bin von der Vision und der Strategie meines Vereins, dann gelingt es mir auch, weitere Leute dafür zu gewinnen. Manchmal muss man dafür auch kreativ werden. Warum nicht mal Leute ausserhalb des Vereins um Hilfe bitten? Es müssen ja nicht immer dieselben zehn oder fünfzehn Personen sein, die ohnehin schon sehr viel machen für den Verein. Und es muss auch nicht jede Arbeit ehrenamtlich sein. In gewissen Situationen ist es auch hilfreich, sich professionelle Unterstützung zu holen und dafür etwas Geld in die Hand zu nehmen.
Serie «Zukunft von Sportvereinen- und verbänden»
Das Thema «Zukunft» ist für Sportvereine und Sportverbände gleichermassen wichtig. Deshalb haben wir uns diesem Themenbereich angenommen und eine vierteilige Artikelserie erarbeitet.
- Teil 1: Zukunftsfragen – «Sportvereine sind sehr oft in Routinen gefangen»
- Teil 2: Professionalisierung – «Die Mitglieder müssen von Anfang an mit ins Boot geholt werden»
- Teil 3: Visionen – «Neuerungen haben es oftmals schwer, weil es von Vereinsseite eine Abwehrhaltung gibt»
- Teil 4: Digitalisierung – «Digitalisierung ist ein Projekt ohne Anfang und Ende»
Wir haben viel über Visionen und Strategien diskutiert. Aus deiner Erfahrung: Was sind die Themen, mit denen sich Vereine zwingend auseinandersetzen müssen, wenn sie sich für die Zukunft rüsten wollen?
Für mich gibt es vier wichtige Bereiche: Erstens die Professionalisierung. Da geht es primär um Fragen, wie man die Effizienz der Vereinsorganisation steigern kann. Dies damit einerseits die Belastung des Vorstands abnimmt und andererseits der Vereinsalltag der Clubmitglieder vereinfacht werden kann. Der zweite Bereich spielt da mithinein, denn das ist die Digitalisierung. Es macht absolut Sinn, dass sich Vereine mit den neuen, technischen Möglichkeiten auseinandersetzen. Da geht es dann um Kommunikationsplattformen, Vereinssoftware, Datenmanagement und ähnliches.
Bild: beUnity
Und welches sind die beiden weiteren Bereiche?
Zum dritten Bereich muss ich nicht mehr viel sagen, denn dieses Thema haben wir schon ausführlich diskutiert. Aber natürlich gehören Fragen zur Vision und Strategie ebenfalls zu wichtigen Themen für Vereinsvorstände. Im vierten Bereich geht es um gesellschaftliche Megatrends, die auch Vereine betreffen. Nicht alle dieser Megatrends sind für Vereine relevant. Ich glaube aber, dass das Thema der zunehmenden Individualisierung auch für Vereine wichtig ist. Auch die Silver Society, als die Generation im Ruhestand, kann für Sportvereine relevant sein. Genauso wie das Thema New Work. Das hat insbesondere die Coronapandemie aufgezeigt. Es muss nicht zwingend jede Vorstandsitzung im Rössli stattfinden und vier Stunden dauern. Es kann auch mal eine Teams-Sitzung sein oder einfach ein kurzer Austausch. In diesem Bereich müssen Vereine auch aktiv werden.
Philipp, danke dir vielmals für deine Einschätzungen und Tipps. Wir werden die Bereiche, über die wir zuletzt gesprochen haben, in separaten Artikeln noch ausführlicher behandeln. Diese werden in den nächsten Wochen auf aargauersport.ch veröffentlicht.