Sportförderung
«Die Mitglieder müssen von Anfang an mit ins Boot geholt werden»
Bild: zur Verfügung gestellt
Im zweiten Teil unserer Serie zur «Zukunft von Sportvereinen und -verbänden» widmen wir uns dem Thema der Professionalisierung. Dies am Beispiel des Aargauischen Leichtathletikverbandes, der die Option eines Teilzeit-Geschäftsführers gewählt hat.
Freizeit ist ein kostbares Gut, das wir immer bewusster einsetzen. Entsprechend ist die verfügbare Freizeit immer auch ein Faktor, wenn es um ehrenamtliche Engagements in Vorständen von Vereinen und Verbänden geht. «Wir wollen sehr oft auf mehreren Hochzeiten tanzen und uns an verschiedenen Orten engagieren. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Vorstandsarbeit so effizient wie möglich gestaltet werden muss, damit ein solches Engagement überhaupt angenommen wird», sagt Philipp Moor von «vereinscoaching.ch».
Er rät daher, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen klar zu definieren. Und: «Vorstandssitzungen sollten idealerweise so aufgebaut sein, dass man vor Ort nur noch entscheidet und nicht berichtet, was alles passiert ist seit der letzten Sitzung. Das bedingt aber natürlich, dass die Sitzungen gut vorbereitet sein müssen – und zwar von allen», so Moor.
«Immer alles selbst machen, ist eine Funktionärskrankheit.»
Man muss nicht alles selbst machen
Zudem sollte man sich immer auch Gedanken machen, ob es tatsächlich die sinnvollste Lösung ist, alles selbst umzusetzen. «Immer alles selbst machen, ist eine Funktionärskrankheit», sagt Philipp Moor lachend. «Es kann durchaus auch effizienter, pragmatischer und vor allem qualitativ besser sein, wenn man gewisse Aufgaben extern gibt und sie von Profis erledigen lässt.»
Genau das hat der Aargauische Leichtathletikverband (ALV) getan. Vor gut zwei Jahren hat der Verband entschieden, einen Geschäftsführer zu engagieren, der in einem 50% Pensum arbeitet. Wir haben mit ALV-Präsident Christian Winter über die Gründe gesprochen, die zu diesem Schritt geführt haben, und ziehen eine erste Zwischenbilanz.
Bild: Fabio Baranzini
«Seit den Europameisterschaften 2014 in Zürich ist die Leichtathletik ununterbrochen im Aufwind. Das ist natürlich toll für uns, aber damit steigen auch die Erwartungen unserer Mitglieder. Immer häufiger galt es, Arbeiten tagsüber zu erledigen. Insbesondere im Bereich der Athletenbetreuung, wo auch der Austausch mit den Eltern, den Schulen und den Athletinnen und Athleten in den letzten Jahren intensiver geworden ist.
Damit wir diesen Erwartungen gerecht werden konnten, war für uns im Vorstand klar, dass wir einen professionellen Geschäftsführer brauchen, der den ehrenamtlichen Vorstand entlastet und zu einer Qualitätssteigerung unserer Arbeit führt. Das waren die beiden Hauptziele, die wir mit der neuen Stelle erreichen wollten.
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Wir haben dann ein entsprechendes Stelleninserat aufgeschaltet und im Vorstand mehrere Vorstellungsgespräche mit interessierten Personen geführt. Es ist wichtig, dass der Bewerbungsprozess gut vorbereitet ist. Wie sieht das Stelleninserat aus? Welche Aufgaben soll die Person übernehmen? Wie laufen die Bewerbungsgespräche? Diese Fragen müssen vorgängig geklärt sein. Genauso wie die Themen Arbeitsverträge, Versicherungen, Pensionskassen, Lohnt etc. Das muss alles sauber geregelt sein. Idealerweise ist jemand mit HR-Erfahrung im Vorstand, der diesen Prozess begleiten kann.
Bild: Ulf Schiller
Wir haben mit Andreas Weber einen geeigneten Geschäftsführer gefunden. Er ist seit Anfang 2020 im Amt und unser erstes Fazit fällt positiv aus. Wichtig ist jedoch, dass man sich folgendes bewusst ist: Wenn man diesen Schritt wagt und einen Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin einstellt, braucht es mindestens ein Jahr, bis diese Person richtig eingearbeitet ist. Entsprechend ist die Nachhaltigkeit sehr wichtig und es empfiehlt sich, einen mehrjährigen Vertrag abzuschliessen, um eine gewisse Kontinuität sicherzustellen. Ansonsten beginnt man jedes Jahr wieder bei null. Zudem ist es sehr wichtig, dass die Person kommunikativ stark ist. Denn der Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin ist die Visitenkarte des Verbandes. Das muss man sich bewusst sein. Es empfiehlt sich auch, einen regelmässigen Austausch zwischen Vorstand und Geschäftsführer zu pflegen. Wir machen das jeweils bei einem Monatsgespräch mit verbindlichen Zielen.
Serie «Zukunft von Sportvereinen- und verbänden»
Das Thema «Zukunft» ist für Sportvereine und Sportverbände gleichermassen wichtig. Deshalb haben wir uns diesem Themenbereich angenommen und eine vierteilige Artikelserie erarbeitet.
- Teil 1: Zukunftsfragen – «Sportvereine sind sehr oft in Routinen gefangen»
- Teil 2: Professionalisierung – «Die Mitglieder müssen von Anfang an mit ins Boot geholt werden»
- Teil 3: Visionen – «Neuerungen haben es oftmals schwer, weil es von Vereinsseite eine Abwehrhaltung gibt»
- Teil 4: Digitalisierung – «Digitalisierung ist ein Projekt ohne Anfang und Ende»
Die Stelle des Geschäftsführers finanzieren wir beim ALV durch unsere Sponsoren, durch die Einnahmen des Aargauer Volkslaufs, den wir jedes Jahr organisieren, und durch unsere Mitgliederbeiträge. Mindestens gleich wichtig wie das Finanzielle ist für das Gelingen einer solchen Teilprofessionalisierung, dass die Mitglieder von Anfang an mit ins Boot geholt werden. Denn die müssen den Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin ebenfalls mittragen und unterstützten. Entsprechend mussten wir als Verband im Vorfeld aufzeigen, warum die Schaffung dieser Stelle wichtig und notwendig ist. Denn letztlich fliesst auch ein Teil der Mitgliederbeiträge in die Finanzierung dieser Stelle.»