Sportförderung
«Neuerungen haben es oftmals schwer, weil es von Vereinsseite eine Abwehrhaltung gibt»
Bild: zur Verfügung gestellt
Im dritten Teil unserer Serie zur «Zukunft von Sportvereinen und -verbänden» nehmen wir uns dem Thema «Strategie und Vision» an. Dies am Beispiel des Aargauischen Orientierungslaufverbandes, der sich intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hat.
Sportvereine und Sportverbände leben sehr häufig in einer Jahresstruktur. Will heissen: Der Vorstand denkt in Jahresperioden, die sich sehr stark am Jahresprogramm orientieren. Dieses Denkmuster verhindert, dass ein Verein sich nachhaltig und intensiv mit seiner Strategie und seiner Vision auseinandersetzen kann.
«Man muss sich gezielt Zeitfenster rausnehmen, in denen man sich nur um die Vision und Strategie kümmert.»
Der zweite «Fehler», den Vereine und Verbände im Zusammenhang mit dem Thema Strategie und Vision oftmals begehen, ist folgender: Man versucht die Arbeit an der Strategie und der Vision in den normalen Vorstandsalltag zu packen. «Das funktioniert nicht. Man muss sich gezielt Zeitfenster rausnehmen, in denen man sich nur um die Vision und Strategie kümmert – in diesen Zeitfenstern hat der Vereinsalltag keinen Platz mehr», erklärt Philipp Moor von «vereinscoaching.ch». Wie das in der Praxis aussehen könnte – darüber haben wir uns mit Jérôme Käser vom Aargauischen Orientierungslaufverband unterhalten:
Bild: Aargauischer Orientierungslaufverband
«Der OL-Sport ist eine klassische Zweitsportart. Praktisch niemand beginnt gleich mit Orientierungslauf. Entsprechend ist für uns klar, dass wir unseren Nachwuchs sehr gut pflegen müssen. Trotzdem haben wir gemerkt, dass wir verschiedene Vereine haben, die sich mit der Nachwuchsarbeit schwertun. Oftmals fehlt es dabei an Funktionären und Helfenden, die bereit sind, sich für eine längere Zeit zu verpflichten. Gleichzeitig haben wir als Verband davon geträumt, ein eigenes Clubhaus zu haben. So wie das in Skandinavien eigentlich Standard ist. Ein Clubhaus fördert den sozialen Kontakt und den Austausch unter den Mitgliedern, der bei einer Einzelsportart halt oft nicht so gross ist.
Vor rund drei Jahren hielt ich einen Flyer des Turnzentrums Aargau in der Hand und wir haben uns mit den Verantwortlichen darüber unterhalten, ob wir das Turnzentrum als Clubhaus nutzen können. Bevor wir dieses Thema weiterverfolgten, haben wir alle unsere Mitgliedervereine zusammengetrommelt und eine Veranstaltung organisiert zu diesem Thema. Dabei haben wir sehr schnell gemerkt, dass unseren Mitgliedern noch sehr viele weitere Themen unter den Nägeln brennen als nur das Clubhaus und die Nachwuchsarbeit.
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Im Grundsatz drehte es sich immer um die Fragen: Wo wollen wir mit dem OL-Sport im Aargau hin? Wo wollen wir uns verbessern? Welche Rolle soll der Verband dabei einnehmen? Das sind richtig grosse Fragen, die man detailliert anschauen muss. Also nichts für eine einmalige Abendveranstaltung. Darum hat der Aargauer OL-Verband entschieden, ein Zusatzmandat zu finanzieren. Während einem Jahr habe ich mich in einem 10 – 15 % Pensum der Zukunftsfrage im Aargauer OL-Sport angenommen.
Ich bin wie folgt vorgegangen: Als erstes habe ich eine Analyse zur aktuellen Situation gemacht. Wo stehen wir im OL-Sport im Aargau? Was bieten wir an? Was machen wir? Danach gabs einen Workshop mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern aus dem Aargauer OL-Sport. Von jedem Aargauer Verein waren zwei bis vier Personen anwesend. Es ging darum, in zehn verschiedenen Themenbereichen Ideen zu suchen, wie wir uns verbessern können. An diesem Abend sind total 400 Ideen genannt worden. Diese habe ich anschliessend gruppiert und kategorisiert.
Bild: Rémy Steinegger
In einem zweiten Workshop ging es darum, diese Ideen zu priorisieren. Wir haben uns auf neun Kategorien geeinigt, die wir weiterverfolgen wollen. Das entsprach etwa 70 bis 80 Ideen. Diese habe ich in eine Umfrage gepackt, um herauszufinden, welche Ideen umgesetzt werden sollen und wer dafür verantwortlich sein soll – der Verband oder die Vereine. An dieser Umfrage haben wiederum alle Aargauer Vereine teilnehmen können.
Es gab anschliessend einen letzten Workshop, an dem wir die Umfrageresultate gemeinsam eingeordnet haben. Als Endergebnis haben wir nun acht Ideen, welche die Vereine umsetzen müssen und acht Themen, um die sich der Verband kümmern muss. Zudem haben wir drei grosse Themen evaluiert, für die wir je eine Arbeitsgruppe gebildet haben. Diese Arbeitsgruppen haben jetzt ein bis zwei Jahre Zeit, um Vorschläge zu präsentieren.
Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis unserer Investition in die Zukunft. Damit ein solches Projekt gelingt, muss es zwingend aus der «normalen» Vorstandstätigkeit ausgegliedert werden und die Akzeptanz der Mitglieder muss vorhanden sein. Neuerungen haben es oftmals schwer, weil es von Vereinsseite eine Abwehrhaltung gibt, wenn die Idee nicht aus ihren Reihen kommt. Deshalb haben wir unsere Mitglieder sehr aktiv involviert und zwar im gesamten Prozess.»
Serie «Zukunft von Sportvereinen- und verbänden»
Das Thema «Zukunft» ist für Sportvereine und Sportverbände gleichermassen wichtig. Deshalb haben wir uns diesem Themenbereich angenommen und eine vierteilige Artikelserie erarbeitet.
- Teil 1: Zukunftsfragen – «Sportvereine sind sehr oft in Routinen gefangen»
- Teil 2: Professionalisierung – «Die Mitglieder müssen von Anfang an mit ins Boot geholt werden»
- Teil 3: Visionen – «Neuerungen haben es oftmals schwer, weil es von Vereinsseite eine Abwehrhaltung gibt»
- Teil 4: Digitalisierung – «Digitalisierung ist ein Projekt ohne Anfang und Ende»