World Wide Aargau

«Unser Team organisiert alles selbst – auf und neben dem Eis»

von Fabio Baranzini – 8. Dezember 2023

Carole Howald und Alina Pätz vom Curling Team Tirinzoni

Bild: zur Verfügung gestellt

Die Curlerinnen des Team Tirinzoni vom CC Aarau sind derzeit das beste Curlingteam der Welt. Wir haben in der Serie «World Wide Aargau» mit Carole Howald darüber gesprochen, wie sie ihre vielen Reisen organisieren, weshalb sie trotz ihren grossen Erfolgen nicht reich werden, wie ihr Trainingsalltag aussieht und wie sie es hinkriegen, dass nicht andauernd die Fetzen fliegen, wenn sie so viel Zeit zu viert verbringen.

Carole, wir erreichen dich gerade in Kanada, wo zwei Turniere anstehen. Wie viel Zeit verbringt ihr während der Saison eigentlich im Ausland?
Unsere Saison dauert von August bis April. In dieser Phase sind wir 120 Tage gemeinsam im Ausland unterwegs und vielleicht fünf oder sechs Wochen in der Schweiz.

Wie viele Turniere bestreitet ihr in dieser Zeit?
Wir spielen in diesem Winter 14 Turnier. Die meisten davon – und vor allem die wichtigsten neben der EM und der WM – finden in Kanada statt. Das bedeutet für uns, dass wir pro Winter fünf oder sechs Mal nach Kanada und zurück fliegen.

Curlerin Carole Howald in Aktion

Bild: zur Verfügung gestellt

Wie entscheidet ihr jeweils, welche Turniere ihr spielt?
Im Sommer wird der Turnierkalender für den kommenden Winter publiziert. Sobald der erscheint, entscheiden wir gemeinsam, welche Turniere wir spielen wollen. Für uns sind natürlich die fünf Grand Slam Turniere die wichtigsten, denn dort gibt es am meisten Weltranglistenpunkte und am meisten Preisgeld zu gewinnen. Allerdings können dort auch nur die besten 15 Teams teilnehmen. Für Mannschaften, die um diesen 15 Platz herum klassiert sind in der Weltrangliste, ist daher die Saisonplanung sehr anspruchsvoll, weil sie immer auch noch einen Plan B brauchen. Wir haben uns hingegen das Privileg erarbeitet, dass wir in der Weltrangliste so weit vorne klassiert sind, dass wir uns die Turniere schon vor der Saison aussuchen und frühzeitig die gesamte Saison fix planen können.

Bedeutet fix planen auch, dass ihr die Flüge und Hotels bucht oder übernimmt diese Arbeit jemand für euch?
Nein, unser Team organisiert alles selbst – auf und neben dem Eis. Wenn wir die Turniere bestimmt haben, die wir spielen wollen, dann bucht Silvana alle Flüge, Hotels und Mietautos. Wir schauen jeweils, dass wir während der Saison einen guten Mix hinkriegen aus Aufenthalten in Hotels, wo wir manchmal Einzel- und manchmal Doppelzimmer nehmen, und Aufenthalten in Air BnB’s, wo wir mehr Platz haben und flexibler sind.

«Es ist trotz unseren Erfolgen immer noch sehr zeitintensiv und schwierig, genügend Sponsoren zu finden.»

Carole Howald, Curling-Profi

Welche Aufgaben übernehmen die anderen Teammitglieder?
Selina ist für das Material und die Webseite zuständig, ich kümmere mich um die Sozialen Medien und Alina und ich sind gemeinsam für die Pflege und Betreuung unserer Sponsoren & Fanclub verantwortlich.

Wie wichtig sind die Sponsoren für die Finanzierung eures Curlingteams?
Extrem wichtig. Eine Curlingsaison kostet uns rund 160’000 Franken. Darin inbegriffen sind die Reisen, die Hotels, die Trainingskosten und das Material. Etwas mehr als 10% dieser Auslagen übernimmt der Verband. Alles andere müssen wir via Sponsoren selbst aufbringen.

Ihr seid aktuell die Weltnummer eins und die amtierenden Welt- und Europameisterinnen. Da sollte es euch doch eigentlich leichtfallen, genügend Sponsoren zu finden.
Leider nicht. Sponsoring ist ein Dauerthema bei uns im Team. Wir sind sehr froh über unsere Sponsoren, mit denen wir teilweise schon langjährige Partnerschaften pflegen. Aber es ist trotz unseren Erfolgen immer noch sehr zeitintensiv und schwierig, genügend Sponsoren zu finden, damit wir unsere Auslagen decken können.

Bist du auch #aargauersport? 

Egal ob Sportlerin, Trainer, Schiedsrichterin, Funktionär, Vorstandsmitglied, Organisator oder leidenschaftlicher Fan – erzähl uns deine Geschichte!

Du sagst «Auslagen decken». Das heisst, in den 160’000 Franken sind noch keinerlei Lohnkosten drin, mit denen ihr euer Leben ausserhalb des Curlings finanziert oder etwas auf die Seite legen könnt?
Richtig. Den Lohn, den wir uns dank unseren Erfolgen auszahlen können, besteht ausschliesslich aus unserem Preisgeld.

Wie viel ist das?
Bei den fünf Grand Slam Turnieren gibt es für das Gewinnerteam 35’000 Dollar. Bei den anderen Turnieren sind die Preisgelder deutlich tiefer, vielleicht bei 10’000 Franken für die Siegerinnen. Die Summe, die wir gewinnen, teilen wir dann natürlich immer durch vier oder allenfalls durch fünf, wenn unser Trainer noch mit dabei ist. An der WM und der EM zahlt uns Swiss Olympic zudem noch Prämien aus. Für den WM-Titels waren es 16’000 Franken und knapp die Hälfte davon gabs für den EM-Titel. Alles in allem verdienen wir in einem erfolgreichen Jahr genug, um unseren Lebensunterhalt neben dem Curling zu bestreiten, aber sicher nicht genug, um etwas zur Seite zu legen.

Das Team Tirinzoni auf einem Ausflug

Bild: zur Verfügung gestellt

Wenn man so viel unterwegs ist wie ihr, macht reisen dann überhaupt noch Spass?
Ganz ehrlich, manchmal ist es wirklich mühsam. Die langen Reisen können schon sehr an den Kräften zehren und wenn dann noch etwas Unvorhergesehenes passiert, ist der Geduldfaden teilweise schon sehr kurz. Aber grundsätzlich muss man schon festhalten, dass es ein spezielles Leben ist, das wir als Profi-Curlerinnen führen. Wir reisen an sehr viele Orte und können sehr viel erleben. Vor allem aber lernen wir die Privilegien, die wir hier in der Schweiz haben, immer wieder von neuem schätzen.

Wie kriegt ihr es eigentlich hin, dass nicht immer mal wieder die Fetzen fliegen, wenn ihr zu viert so lange unterwegs seid? Gerade auf Reisen verbringt man ja auch sehr viel Zeit auf engem Raum.
Eine offene und ehrliche Kommunikation ist absolut entscheidend. Wir sprechen regelmässig darüber, was uns wichtig ist und worauf wir Wert legen. Dann versuchen wir bei der Planung, die Wünsche von allen so gut es geht zur berücksichtigen. Es ist wichtig, dass wir immer auch genügend Zeit einplanen, die jede für sich nutzen und sich zurückziehen kann. Deshalb buchen wir immer mal wieder auch Einzelzimmer. Der Schlüssel ist definitiv die Kommunikation.

Team Tirinzoni freut sich über einen Turniersieg

Bild: zur Verfügung gestellt

Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg ist aber sicherlich auch die harte Arbeit, die ihr in eure Karrieren steckt. Kannst du all denjenigen, die das Gefühl haben, dass Curling kein physisch anstrengender Sport ist, einmal einen Einblick in euren Trainingsalltag geben.
Wir investieren in einer normalen Trainingswoche circa 30 Stunden in den Curlingsport. Rund zehn Stunden trainieren wir auf dem Eis, etwa zehn Stunden neben dem Eis im Bereich Kraft, Schnellkraft und Ausdauer. Rund fünf Stunden nimmt das Mentaltraining und die Teamorganisation in Anspruch und noch weitere fünf Stunden gehen drauf für die Reisewege ins Training und zurück. Gerade auch die Arbeit neben dem Eis ist sehr wichtig – vor allem im Sommer. Denn dort legen wir die Grundlage für eine erfolgreiche Saison.

Wo machen sich denn die vielen Trainingsstunden neben dem Eis bemerkbar?
Das merkt man bei jedem Turnier je länger es dauert. Ein normales Curlingturnier zieht sich über vier Tage, wobei jeden Tag mindestens zwei Partien auf dem Programm stehen, teilweise sogar drei. Eine Begegnung dauert ohne Weiteres zwei bis zweieinhalb Stunden. Im Extremfall sind das dann also mehr als sieben Stunden Curling auf höchstem Niveau an einem Tag – dafür braucht es definitiv eine gute körperliche Fitness und mentale Stärke. Das wird von vielen unterschätzt.

Hinweis

In unserer neuen Serie «World Wide Aargau» stellen wir Athletinnen und Athleten aus dem Kanton Aargau vor, die ihre Sportart im Ausland ausüben oder im Ausland trainieren. Schick uns eine Mail an redaktion@aargauersport.ch wenn du jemanden kennst, den wir in dieser Rubrik vorstellen könnten.