Sport Gala
«Ich war in diesem Moment völlig überfordert»
Bild: EPA
Mit ihrem Olympiasieg in der Königsdisziplin des Schiesssports, dem Dreistellungsmatch über 50m, war Chiara Leone am 2. August für den vielleicht grössten Schweizer Sportmoment 2024 besorgt. Mit uns blickt die 26-jährige Frickerin noch einmal zurück auf den Tag ihres grössten Triumphs.
«Ich bin am Tag des Finals kurz vor sieben Uhr aufgestanden und als erstes raus. Ich ging eine kurze Runde joggen, um den Körper zu aktivieren und habe auf einer Wiese ein paar Kräftigungsübungen gemacht. Ich kann mich noch erinnern, dass da jemand mit seinem Hund vorbeigelaufen ist und mich ziemlich komisch angeschaut hat (lacht).
Zurück in unserer Unterkunft habe ich mein Frühstück zubereitet. Es gibt bei mir immer ein einfaches Müsli mit Haferflocken, Nüssen und Hafermilch. Das reicht mir. Um acht Uhr sind wir mit dem Auto losgefahren zur Wettkampfanlage, die ungefähr 15 Minuten entfernt lag. Mein Trainer Enrico war mit dabei und mein Teamkollege Christoph, der sich darum gekümmert hat, dass meine Fans in die Halle kommen konnten.
«Obwohl der Olympiafinal unmittelbar bevorstand, war ich überhaupt nicht nervös. Ich fühlte mich viel mehr wie auf einer Mission.»
Für mich gings zuerst durch die Security Kontrolle, dann holte ich in der Waffenkammer mein Gewehr und ging in die Vorbereitungshalle. Als ich kurz nach halb neun die Halle betrat, geriet ich kurz in Panik, weil alle meine Konkurrentinnen schon mega konzentriert an ihren Vorbereitungen waren. Ich dachte wirklich, ich sei zu spät. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir dann aber, dass alles ok war. Ich habe mich in aller Ruhe umgezogen, bin nochmals kurz raus, um mit ein paar Sprints meinen Puls in die Höhe zu jagen. Das half mir, dass ich danach richtig fokussiert in den Wettkampf starten konnte. Obwohl der Olympiafinal unmittelbar bevorstand, war ich überhaupt nicht nervös. Ich fühlte mich viel mehr wie auf einer Mission und wusste, dass ich mit der guten Qualifikation am Vortag erst den ersten von zwei Schritten gemeistert hatte.
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In meiner Vorbereitung gibt es ein fixes Ritual: Jemand muss immer einen Witz erzählen. Meine Teamkollegin, die dafür zuständig ist, konnte leider nicht vor Ort dabei sein. Sie hatte deshalb den Witz per Video meinem Trainer Enrico geschickt. Dieses Video haben wir uns dann kurz vor dem Final angeschaut und mussten in der Vorbereitungshalle laut lachen. Der Witz war so schlecht, dass er schon wieder gut war. Die Konkurrentinnen haben mich da schon etwas schräg angeschaut, aber ich bin überzeugt, dass genau diese Leichtigkeit den Unterschied ausgemacht hat. Die anderen waren zu verbissen und haben deshalb wohl schon in der Vorbereitung zu viel Energie verbraucht.
Vom Wettkampf weiss ich ehrlich gesagt nicht mehr viel. Ich weiss noch, dass mein erster Schuss nicht optimal war. Dann kann ich mich noch kurz daran erinnern, dass ich während des Wettkampfs gedacht habe, dass es schon unglaublich toll ist, vor so einem grossen Publikum zu schiessen. Und dann ist noch mein letzter Schuss präsent. Vor allem der Moment, in dem ich mir gesagt habe, dass ich jetzt noch einmal alles, was ich in meiner Schiesskarriere gelernt habe, in diesen letzten Schuss legen will.
Direkt nach dem Schuss hörte ich den Jubel hinter mir und wusste, dass es gereicht hat. Ich war in diesem Moment völlig überfordert. Es war so viel auf einmal, dass ich gar nicht wusste, wo ich mit diesen Emotionen hinsoll. Ich war völlig ungläubig, sah das Publikum jubeln und meinen Trainer völlig aufgelöst danebenstehen. Ich begann langsam zu realisieren, dass ich Olympiasiegerin geworden bin. Danach gings mega schnell weiter: Siegerfoto, Siegerehrung, Interviews, Dopingkontrolle – alles war wie im Film. Erst nach mehr als drei Stunden hatte ich kurz fünf Minuten für mich in der Garderobe und konnte dann zu meiner Familie. Das war ein ganz toller Moment.»
Die Erfolge von Chiara Leone 2024
- Olympiasiegerin Dreistellungsmatch 50m
- Olympiarekord mit 464,4 Punkten
- Dreifache Europameisterin Dreistellungsmatch 50m (Einzel, Team, Trio)
- EM-Bronze (Team liegend)
- Weltnummer 1
- Nominiert als Schweizer Sportlerin des Jahres 2024