Im Fokus
«Die drei Monate in Flensburg sind der Wahnsinn»
Bild: Alexander Wagner
In unserer Rubrik «Im Fokus» stellen wir einmal im Monat einen Sportler oder eine Sportlerin aus dem Kanton Aargau vor, die mit ihren Leistungen für Aufsehen gesorgt hat. Diesmal ist es Handballer Marvin Lier, der drei Monate beim deutschen Meister Flensburg-Handewitt spielen kann.
Marvin Lier spielt immer noch Handball. Genau wie in den letzten Jahren. Aber trotzdem lebt der 27-Jährige, der seine Handball-Ausbildung beim TV Endingen absolviert und zuletzt bei Pfadi Winterthur gespielt hat, seit knapp drei Wochen in einer völlig anderen Welt. Praktisch von einen Tag auf den anderen wechselte er von Winterthur für drei Monate zu Flensburg-Handewitt. Der deutsche Meister brauchte dringend einen Ersatz für den verletzten linken Flügel Hampus Wanne.
Jetzt lebt Marvin Lier als Handballprofi im Norden Deutschlands. Eine ganz neue Erfahrung für den Ehrendinger. «Ich konzentriere mich im Moment ausschliesslich aufs Handball. Das war schon immer mein Traum und dass ich das jetzt gleich bei einer absoluten Topmannschaft wie Flensburg machen kann, ist mega cool», sagt Lier, der für die drei Monate sein Studium in Erziehungswissenschaften in Zürich praktisch auf null reduziert hat. Lediglich eine Semesterarbeit schreibt er.
Auf der Strasse erkannt
Ansonsten dreht sich alles um Handball. Genau wie in Flensburg. «Hier geht es fast nur um Handball. Die Leute erkennen mich auf der Strasse und wollen ein Foto machen, obwohl ich eben erst angekommen bin und noch kaum gespielt habe. Das ist schon verrückt, aber auch eine riesige Motivation für mich. Ich will zeigen, dass ich auch in diesem Topteam mithalten kann», so Lier.
Seit seiner Ankunft hat Flensburg-Handwitt fünf Bundesligapartien absolviert. Lier ist dabei erst einmal für die letzten Minuten eingewechselt worden. Ansonsten sass er auf der Bank. Kein Problem für ihn. «Damit habe ich gerechnet. Es ist logisch, dass ich in den ersten Spielen nur wenig zum Einsatz komme, da ich noch nicht lange mit der Mannschaft trainiere. Da fehlt dem Trainer verständlicherweise noch etwas das Vertrauen, mich in einem engen Spiel einzuwechseln», sagt Lier.
Mehr Training, mehr Videoanalyse
Trotzdem hat der 54-fache Schweizer Nationalspieler in den drei Wochen schon viel profitieren können. «Die Qualität in den Trainings ist enorm. Wenn ich nicht 100 Prozent abliefere, mache ich kein Tor gegen diese Weltklasse Torhüter. Auch Nachlässigkeiten in der Abwehr werden gnadenlos ausgenutzt», beschreibt Lier. Die Trainings beim deutschen Meister sind zudem deutlich länger als in der Schweiz. Meist doppelt so lang, da das Krafttraining und das Handballtraining gleich kombiniert werden.
Hinzu kommen intensive Videoanalysen. «Jeder Spielzug des Gegners wird genau analysiert und entsprechend wird auch jeder unserer Spielzüge minutiös angepasst», so Lier. «Ein Videostudium in diesem Ausmass kenne ich aus der Schweiz nicht. Aber in der Bundesliga hat halt auch jeder Spieler so viel Qualität, dass er einem Team weh tun kann. Deshalb muss man sich auf ihn auch individuell vorbereiten.»
«Die Qualität in den Trainings ist enorm. Wenn ich nicht 100 Prozent abliefere, mache ich kein Tor gegen diese Weltklasse Torhüter. Auch Nachlässigkeiten in der Abwehr werden gnadenlos ausgenutzt.»
Die EM steht vor der Tür
Diese Woche weilt Marvin Lier nun wieder in der Schweiz. Genauer in Aarau. Im Kreis der der Schweizer Nationalmannschaft fällt der Startschuss für die EM-Vorbereitung. Erstmals seit 2006 spielen die Schweizer im Januar an einer EM-Endrunde. «Im Hinblick auf die EM ist diese Woche enorm wichtig. Alle Spieler sind dabei und wir können intensiv trainieren. Zudem haben wir zwei Partien gegen Tschechien. Ein sehr starker Gegner, gegen den wir sehen können, wo wir stehen», blickt Lier auf die Testländerspiele vom Freitag und Samstag in der Aarauer Schachenhalle voraus.
Bundesliga-Abenteuer und die erste EM mit der A-Nationalmannschaft – es warten aufregende Wochen und Monate auf Marvin Lier. Doch welches dieser beiden Highlights hat für ihn eigentlich den höheren Stellenwert? «Schwierig. Die drei Monate in Flensburg sind der Wahnsinn, aber das eigene Land an einer EM vertreten zu können – davon träumt jeder Spieler. Daher würde ich die EM ein klein wenig höher gewichten, aber die Bundesliga kommt gleich dahinter», so Lier, der Ende dieser Woche nach Flensburg zurückkehrt und versuchen wird, sich möglichst viele Spielminuten in der Bundesliga zu erkämpfen.
Hinweis
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