Sportanlagen

«Ein Nein zum Stadion wäre ein Armutszeugnis für den Sportkanton Aargau»

von Fabio Baranzini – 6. November 2019

Jörg Sennrich während einer Ansprache

Bild: Fabio Baranzini

In wenigen Tagen wird in Aarau über das neue Fussballstadion abgestimmt. Wir nehmen dies zum Anlass, um mit Jörg Sennrich, Präsident der IG Sport Aargau, das Thema «Sportinfrastruktur» in einen grösseren Kontext zu stellen. Wieso brauchen wir überhaupt moderne Sportanlagen im Aargau? Inwiefern ist der Spitzensport wichtig für unsere Gesellschaft? Und welche Rolle spielen Politik und Wirtschaft? 

Am 24. November wird über das neue Fussballstadion in Aarau abgestimmt. Welche Bedeutung hat das Stadion-Projekt für den gesamten Sport im Kanton Aargau?
Die Bedeutung ist enorm. Die Abstimmung über das Stadion in Aarau ist eine Grundsatzfrage. Will die Allgemeinheit den Sport im Kanton Aargau weiterhin so unterstützen, dass Spitzensport möglich ist oder nicht? Darum geht es. Wenn die Allgemeinheit nicht mehr bereit ist, in den Spitzensport zu investieren, ist es bald schon ein Ding der Unmöglichkeit, dass der Kanton Aargau Spitzensportler hervorbringt. Egal in welcher Sportart. Das ist ein grosses Problem. Nicht nur für künftige Spitzensportler, sondern vor allem für den Breitensport und damit auch für die Verbände und Vereine an der Basis.

Diesen Zusammenhang musst du genauer erklären.
Es ist ganz einfach: Wer hat sich in der Schweiz für Skispringen interessiert vor Simon Ammann? Oder fürs Langlaufen vor Dario Cologna? Oder fürs Kunstturnen vor Ariella Käslin und Giulia Steingruber? Es braucht Aushängeschilder, an denen sich die Jugend orientieren kann. Wenn es diese sportlichen Leuchttürme nicht gibt, dann haben die Vereine enorm Mühe, genügend Nachwuchs zu finden. Der Nachwuchs ist jedoch die Zukunft und das Herzstück jeder Sportart. Wenn die Aushängeschilder fehlen, bleibt auch die Medienpräsenz aus, das Interesse der Sponsoren ist gering und es wird noch schwieriger, ehrenamtliche Funktionäre und Trainer zu finden. Es ist ein Teufelskreis. Darum: Wir brauchen Spitzensportler aus dem Kanton Aargau als Aushängeschilder und dafür brauchen wir moderne Sportanlagen wie beispielsweise das neue Stadion in Aarau. 

Bild: Fabio Baranzini

Was würde denn ein «Nein» zum Stadion in Aarau bedeuten?
Das wäre ein Armutszeugnis für den Sportkanton Aargau. Mir ist völlig klar, dass nicht alle Fussballfans sind. Das ist auch gut so. Aber das neue Stadion in Aarau bringt für die ganze Region enorm viel. Es ist nicht nur ein Bekenntnis zum Spitzensport, sondern es ist ein Projekt, das eine enorme Strahlkraft hat für den ganzen Kanton. Das ist unbezahlbar. Ich staune schon, dass wir in einem der reichsten Länder der Welt leben und nur so zaghaft in den Sport investieren. Und das obwohl unbestritten ist, welchen unschätzbaren Wert der Sport für unsere Gesellschaft hat. Denken wir nur an die gesundheitlichen Aspekte, die Integration oder die sinnvolle Freizeitbeschäftigung für Kids und Jugendliche. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, wäre für mich ein «Nein» zum Stadion nur schwer verständlich.

Derzeit haben Sport-Infrastruktur-Projekte aber generell einen sehr schwierigen Stand. Da ist das Stadion in Aarau kein Einzelfall. Auch bei der Kunsteisbahn in Aarau gab es Einsprachen wegen den Öffnungszeiten und dem Lärm und in Zürich gestaltet sich der Neubau des Fussballstadions schwierig. Woran liegt das?
Das ist ein Problem unserer Gesellschaft. Wir erfreuen uns an den Spitzenleistungen unserer Athletinnen und Athleten, aber sind nicht bereit, die notwendigen Rahmenbedingungen für diesen Erfolg bereitzustellen. Derzeit wollen wir scheinbar kein Commitment für den Spitzensport abgeben. Das zeigt sich im Aargau beispielsweise daran, dass wir einzig im Judo und im Kunstturnen wirklich spitzensporttaugliche Anlagen haben. Im Fussball, Schwimmen, Basketball und weiteren Sportarten fehlen diese Anlagen. Im Kunstturnen braucht es eine neue Lösung aufgrund einer Umnutzung des Gebäudes. Zudem hat der Aargau auch keine multifunktionale Eventhalle.

Warum?
Ich glaube, es liegt daran, dass diese Projekte zu oft als reine Sportprojekte für einzelne Athleten oder Vereine wahrgenommen werden. Nehmen wir wieder das Beispiel des Fussballstadions in Aarau. Da geht es um viel mehr als nur darum, dass die Spieler der ersten Mannschaft des FC Aarau in einem schönen Stadion spielen können. Darüber haben wir vorhin schon gesprochen. Was mir bei all diesen Projekten fehlt, ist das ernsthafte Bemühen von Politik, Wirtschaft und Sport, sich gemeinsam für diese Projekte einzusetzen und sie zu Vorzeigeprojekten für die ganze Region zu machen. 

«Ich staune schon, dass wir in einem der reichsten Länder der Welt leben und nur so zaghaft in den Sport investieren.»

Jörg Sennrich, Präsident IG Sport Aargau

Kannst du das genauer erklären?
Der Aargau ist ein Innovationskanton. Wir haben viele hervorragende Unternehmen und Organisationen wie das Hightech Zentrum Aargau oder die Netzwerk-Plattform Park Innovaare. Es muss doch möglich sein, dass sich Sport und Wirtschaft zusammenschliessen, um neue Technologien und Innovationen mit einem Sportprojekt zu verbinden. So wird aus einem Sportprojekt ein Vorzeigeprojekt, das auch von der Politik unterstützt werden kann und entsprechend für die ganze Region ein Gewinn ist. Diese Form der Kooperation fehlt mir noch. Viel zu oft stehen Sportvereine und Sportverbände bei solchen Projekten als Einzelkämpfer da.

Kann da die IG Sport Aargau weiterhelfen? Das Ziel der IG besteht ja genau darin, die Interessen des Sports gegenüber der Wirtschaft und der Politik zu vertreten. 
Das ist ein Bereich, in dem wir uns künftig definitiv mehr einbringen wollen. Ich sehe da für die IG Sport Aargau die Rolle des Vermittlers. Wir wollen gegen das «Gärtchendenken» im Sport ankämpfen, damit ein Miteinander möglich ist. Zugunsten des Sports und damit auch Zugunsten der gesamten Gesellschaft. Der Erfolg im Sport ist die Folge von Entscheidungen. Dafür brauchen wir Menschen, die sich für den Sport entscheiden, exponieren und einstehen.