Über den Tellerrand
«Du musst Schmerzen gernhaben und leiden können»
Bild: Schaatsfoto’s – Oscar van den Bosch
In unserer Serie «Über den Tellerrand» stellen wir euch Sportarten und Sportler vor, die im Kanton Aargau betrieben werden oder aktiv sind, aber in der breiten Öffentlichkeit wenig Beachtung finden. Diesmal stellt Olympia-Teilnehmerin Ramona Härdi ihre Sportart Eisschnelllaufen vor.
Bald hat das lange Warten für Ramona Härdi ein Ende. In wenigen Tagen stehen für die Eisschnellläuferin aus Möriken die ersten Weltcup Einsätze auf dem Programm. Es sind die ersten offiziellen Rennen in diesem Winter. Alle anderen fielen der Corona-Pandemie zum Opfer. Entsprechend viel Zeit hatte die Olympia-Teilnehmerin von 2018 in den letzten Wochen und Monaten zum Trainieren.
Dies tut die 23-Jährige im Kreis der Schweizer Nationalmannschaft. Trainiert wird allerdings nicht in der Schweiz. Obwohl unser Land ja eigentlich eine Wintersport-Hochburg ist, gibt es schweizweit nämlich nirgends eine passende Trainingsanlage. Die Eisschnellläuferinnen und -läufer würden für ihre Trainings eine gedeckte 400m Bahn benötigen. Doch die fehlt in der Schweiz. Und so haben unsere besten Athletinnen und Athleten ihr Winterdomizil im Deutschen Inzell aufgeschlagen.
«Auch wenn Eisschnelllaufen am TV extrem locker aussieht, ist es für mich eine der härtesten Sportarten überhaupt.»
Die «Langweiler» auf dem Eis
Die Tatsache, dass es in der Schweiz keine einzige Eisschnelllauf-Halle gibt, zeigt, dass die Sportart hierzulande definitiv zu den Randsportarten zählt. Die Anzahl Vereine lassen sich an einer Hand abzählen und es gibt nur rund 30 lizenzierte Athletinnen und Athleten. «Neben dem Eishockey und dem Eiskunstlaufen sind wir die ‘Langweiler’ auf dem Eis, die einfach im Kreis herumfahren», meint Ramona Härdi. Diese Aussage ist aber natürlich nicht ganz ernst gemeint, auch wenn Eisschnelllauf auf den ersten Blick tatsächlich etwas eintönig aussieht. Dass dem nicht so ist, zeigen die Einblicke, die Ramona Härdi in ihre Sportart gibt.
Leidensfähigkeit und Technik sind gefragt
«Auch wenn Eisschnelllaufen am TV extrem locker aussieht, ist es für mich eine der härtesten Sportarten überhaupt», sagt Ramona Härdi. Die frühere Inline Skaterin ist Spezialistin für die Massenstart-Rennen, Teamverofolgung und für die Distanzen 1500 und 3000 Meter. «Die 1500 Meter beispielsweise sind extrem hart. Du bist von Anfang an am Limit. Nach etwa 30 Sekunden bist du in der Übersäuerung und musst das Tempo aber insgesamt zwei Minuten durchziehen. Wenn du Eisschnelllaufen willst, musst du Schmerzen gernhaben und leiden können.»
Eisschnelllaufen ist ein klassischer Kraft-Ausdauersport, bei dem aber auch die Technik enorm wichtig ist. Denn die Schritte müssen auch dann noch perfekt sitzen, wenn der Athlet oder die Athletin total erschöpft ist. Und das bei Geschwindigkeiten von bis zu 60 Kilometern pro Stunde. «Die Bewegungsabläufe müssen perfekt sein. Gerade das Timing beim Fusswechsel ist enorm wichtig, genauso die Körperposition. Denn als Eisschnellläufer ist man permanent in der Hocke», erklärt Ramona Härdi.
Bild: Phil Dänzer – phildaenzer.ch
Kein normaler Schlittschuh
Neben der Leidensfähigkeit und der richtigen Technik spielt auch das Material eine wichtige Rolle. Vor allem natürlich der Schlittschuh. Und der unterscheidet sich sehr stark von den Schuhen, die wir tragen, wenn wir uns auf der Kunsteisbahn bewegen. Ramona Härdi beschreibt die Unterschiede wie folgt: «Unser Schuh geht nur bis zum Knöchel, damit wir in den Fussgelenken beweglicher sind. Zudem sind die Kufen über 40 Zentimeter lang. Dadurch sind wir zwar weniger wendig, können aber besser und schneller gleiten. Der grösste Unterschied ist aber, dass die Kufen nicht fix montiert sind. Ähnlich wie beim Langlauf ist die Ferse nicht fixiert, so dass die Kufen beim Laufen wegklappen. Das hilft der Beschleunigung, macht aber natürlich das Laufen anspruchsvoller.»
Damit Ramona Härdi auf dem Eis Bestleistungen abrufen kann, muss das Material in einem optimalen Zustand sein. Vor allem die Kufen müssen entsprechend präpariert werden. Einmal pro Woche und vor jedem Wettkampf werden diese geschliffen. «Die Kanten müssen messerscharf sein, damit der Halt in den Kurven perfekt ist. Und auch die Oberfläche darf keine Kratzer aufweisen, denn das könnte eine Bremswirkung haben», so Ramona Härdi, die ihre Kufen immer selber schleift und für ein paar Schuhe ein bis zwei Stunden braucht.
Bild: Schaatsfoto’s – Oscar van den Bosch
So funktionieren die drei Diszipline des Eisschnelllaufs
Zum Abschluss gibt es noch einen kurzen Überblick über die verschiedenen Diszipline im Eisschnelllauf. Es gibt die Einzelstrecken, die Massenstartrennen und die Teamevents.
- Einzelstrecken: Bei den Einzelstrecken werden Distanzen zwischen 500 und 5000 Meter (bei den Frauen), beziehungsweise 10000 Meter (bei den Männern) zurückgelegt. Diese Rennen werden jeweils paarweise gelaufen. Immer zwei Athletinnen oder Athleten laufen auf der 400m Bahn gegeneinander. Wer das Direktduell gewinnt, spielt keine Rolle. Die Zeit ist entscheidend.
- Massenstart: Bei den Massenstartrennen, die seit 2018 olympisch sind, treten maximal 24 Athleten gegeneinander an und legen 16 Runden zurück. Die Runden sind dabei kürzer, wobei aber die Bahn breiter ist, damit Überholen möglich ist. Es gewinnt derjenige, der am meisten Punkte sammelt. Punkte gibt’s bei den Punktesprints, die alle vier Runden ausgetragen werden (Punkte für die Top 3), und beim Zieleinlauf (Punkte für die Top 6).
- Teamverfolgung: Bei der Teamverfolgung laufen jeweils drei Athletinnen oder Athleten miteinander. Die Frauen sechs Runden, die Männer acht. Bei der Führungsarbeit können sie sich abwechseln. Wie bei den Einzelstrecken entscheidet auch hier die Zeit und es wird auf der 400m Bahn gelaufen.
Bild: Andri Margadant, Photocab.ch / Swiss Ice Skating
Hinweis
Weitere spannende Beiträge aus unserer Rubrik «Über den Tellerrand», in der wir unbekannte Sportarten vorstellen, die im Kanton Aargau ausgeübt werden, findest du hier.