Im Fokus
Sandro Detig – der E-Sportler, der alleine über den Atlantik ruderte
Bild: Penny Bird
In unserer Rubrik «Im Fokus» stellen wir Sportlerinnen und Sportler aus dem Kanton Aargau vor, die mit ihren Leistungen für Aufsehen gesorgt haben. Diesmal ist es der 28-jährige Lenzburger Sandro Detig, der alleine über den Atlantik gerudert ist.
Kannst du dich noch an unseren Podcast erinnern, in dem Samuel Widmer zu Gast war? Ja genau, der Extremruderer der mit seinen drei Kollegen von «Swiss Raw» über den Atlantik gerudert ist und die diesjährige Talisker Atlantic Challenge gewonnen hat. Eine absolut verrückte Geschichte!
Im Aargau haben wir aber tatsächlich jemanden, der diese verrückte Geschichte noch zu toppen vermag. Sein Name: Sandro Detig. 28 Jahre alt. Informatiker aus Lenzburg. Er hat das Kunststück vollbracht, den Atlantik ganz alleine in seinem Ruderboot zu überqueren. 74 Tage, 15 Stunden und 2 Minuten benötigte er dafür. Allein diese Leistung verdient grossen Respekt. Und der wird noch etwas grösser, wenn man die Geschichte von Sandro etwas genauer kennt.
«Ich habe exzessiv viel Zeit vor dem Bildschirm verbracht. Sport war für mich überhaupt kein Thema.»
Das Gegenteil eines Extremsportlers
Denn er sagt über sich selbst: «Ich bin das pure Gegenteil eines Extremsportlers. Ich habe eigentlich mein ganzes Leben vor dem PC verbracht.» Neben seiner Arbeit als Informatiker ist Sandro leidenschaftlicher Gamer, hat an verschiedenen E-Sport-Turnieren teilgenommen und teilweise auch gewonnen. «Ich habe exzessiv viel Zeit vor dem Bildschirm verbracht. Sport war für mich überhaupt kein Thema.»
Das änderte sich im Januar 2018. Damals verfolgte er die Zieleinfahrt der Talisker Atlantic Challenge, weil sein Kollege Laurenz Elsässer im Boot «Swiss Mocean» auf der Karibikinsel Antigua eingetroffen ist. «Ich habe mir das angeschaut und wusste: Das will ich auch.» Am nächsten Morgen ist Sandro Detig zum ersten Mal in seinem Leben joggen gegangen.
Bild: zur Verfügung gestellt
Nach drei Monaten lief er einen Marathon
Damit war sein Ehrgeiz geweckt. Sandro Detig wollte herausfinden, wozu er fähig ist. Dafür brauchte er eine Challenge. Rund drei Monate, nachdem er zum ersten Mal joggen ging, stand er an der Startlinie des Zürich Marathon. Und Sandro kam ins Ziel. «Ich war einer der allerletzten, aber das war mir völlig egal. Ich wollte einfach das Ziel erreichen. Das habe ich geschafft und habe mir damit bewiesen, dass ich enorm viel erreichen kann.»
Aus dieser Erkenntnis schöpfte er den Mut, sich für die Talisker Atlantic Challenge anzumelden. Ursprünglich war geplant, dass er dieses Abenteuer mit einem Kollegen im Team absolviert. Doch der sprang nach rund einem Jahr aus privaten Gründen ab. Und so war Sandro plötzlich auf sich allein gestellt. «Ich habe mich entschieden, das Rennen trotzdem zu absolvieren. Ab diesem Punkt wurde es für mich einfacher, denn ich konnte selbst entscheiden, was ich wie machen möchte.»
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Für einen guten Zweck
Sandro Detig schloss sich dem Ruderclub Baden an. Dort trainierte er regelmässig. Er führte auch viele Gespräche mit seinem Kollegen Laurenz Elsässer, der ihn zur Teilnahme inspiriert hatte. Und Sandro rief eine Charity Aktion zum Thema «Zystische Fibrose» ins Leben, mit der er Betroffene unterstützen möchte (hier kannst du noch immer spenden).
Erst im September letzten Jahres erhielt Sandro Detig sein Boot, das er sich mit einem Darlehen finanziert hat. «Das ist eigentlich viel zu spät. Denn vor dem Rennen sollte man so viel Zeit auf dem Boot verbringen wir möglich.» Den gesamten September über lebte der Lenzburger in England auf seinem sechs Meter langen und 1.5 Meter breiten Boot. Rund 130 Ruderstunden hat er in dieser Zeit auf dem Atlantik absolviert. Das musste reichen. Mehr Zeit blieb Sandro Detig nicht für die Vorbereitung. Seine Urlaubstage waren aufgebraucht.
Bild: zur Verfügung gestellt
Schmerzhafter Aufprall im ersten Sturm
Seinem Selbstvertrauen tat dies jedoch keinen Abbruch. Beim Start war er zuversichtlich, dass er trotz seiner kurzen Vorbereitungszeit und der sehr geringen Erfahrung auf dem offenen Meer das Ziel auf Antigua erreichen würde. «Da ich keinerlei Ambitionen hatte, ausser ins Ziel zu kommen, konnte ich locker an den Start gehen. Ich war zu keinem Moment unsicher.»
Das mag sich im ersten Moment leichtsinnig anhören. War es aber nicht. Denn der Respekt vor der Herausforderung war bei Sandro Detig immer da. Und dieser Respekt wurde schon kurz nach dem Start im ersten Sturm auf die Probe gestellt. «Auf diese Meter hohen Wellen kannst du dich nicht vorbereiten – egal wie viel du trainierst», sagt Sandro. «Eine Welle in diesem Sturm ist unglücklich gebrochen, so dass ich mit dem Boot in die Tiefe gestürzt und mit dem Brustkorb schmerzhaft gegen das Ersatzruder geknallt bin. Das schmerzte die nächsten zwei Wochen stark.»
Sandro Detigs Videobotschaft mitten im Atlantik
Süchtig nach Musik
Davon liess sich Sandro Detig aber nicht aufhalten. Er ruderte weiterhin jeden Tag 12 Stunden. Dazwischen fand er immer wieder Zeit, um auf seinem Instagram Kanal «alungjourney» witzige Videos zu posten. «Humor war für mich schon immer eine Möglichkeit, um schwierige Situationen zu meistern. Das gehört bei mir einfach dazu», sagt Sandro Detig, der in seiner Freizeit als Hobby-Schauspieler im Einsatz steht.
Aber trotz viel Disziplin und der nötigen Prise Humor wurde der 28-Jährige nach 60 Tagen auf eine harte Probe gestellt. Sowohl sein Laptop als auch sein Smartphone funktionierten nicht mehr. So war es für Sandro Detig unmöglich, Musik zu hören. «Musik ist für ich extrem wichtig. Ich habe gemerkt, dass ich davon abhängig bin. Als die Musik ausfiel, hatte ich keine Nerven und keine Geduld mehr. Es gab Momente, da verfluchte ich die ganze Welt und war völlig am Ende.» Trotzdem erreichte Sandro Detig zwei Wochen später sein Ziel auf Antigua.
Motivation für den Alltag
Etwas mehr als eine Woche später war Sandro Detig wieder zurück in der Schweiz. Zurück an seinem Arbeitsplatz als Informatiker. Das Fazit seines Abenteuers: «Ich habe mir bewiesen, wozu ich fähig bin. Diese Erkenntnis, will ich nutzen, um auch in meinem Alltag die Dinge anzugehen, vor denen ich mich zuvor immer gedrückt habe.» Und wann folgt die nächste sportliche Herausforderung? «Das weiss ich nicht. Der sportliche Aspekt war nicht meine Motivation. Es ging mir darum, ein Projekt umzusetzen. Ich kann mir durchaus vorstellen, nochmals über den Atlantik zu rudern. Aber nicht, um schneller oder besser zu sein. Sondern weil 90 Prozent der Zeit der Überfahrt einfach geil waren und ich es richtig genossen habe.»
Hinweis
In unserer Rubrik «Im Fokus» stellen wir einmal im Monat einen Sportler oder eine Sportlerin aus dem Kanton Aargau vor, die mit ihren Leistungen für Aufsehen gesorgt hat. Alle bisherigen Portraits findest du hier.