World Wide Aargau

«Da gibt es teilweise nur kaltes oder gar kein Wasser zum Duschen»

von Fabio Baranzini – 4. Januar 2022

Ringer Nino Leutert in Aktion

Bild: zur Verfügung gestellt

Ringer Nino Leutert (22) verbringt für Wettkämpfe und Trainingslager bis zu 200 Tage pro Jahr im Ausland. Wie er seinen Trainingsalltag organisiert und finanziert, erzählt der Athlet der Ringerstaffel Freiamt in unserer Serie «World Wide Aargau».

Nino, während unserem Gespräch befindest du dich gerade zwischen zwei Trainings im Magglingen, wo du ein Trainingslager absolvierst. Wie sieht dein Alltag in der Schweiz aus, wenn du gerade kein Trainingslager hast?
Wenn ich in der Schweiz bin, dann arbeite ich zu 60 Prozent als Sanitärinstallateur. Bereits während der Lehre hatte ich die Chance, zwei Mal pro Woche zusätzliche Morgentrainings zu absolvieren. Heute bestreite ich vier dieser Morgentrainings. Diese finden jeweils in Aristau statt, wo ein Regionales Leistungszentrum entsteht. Aktuell kommen da jeweils acht bis zwölf Ringer ins Training. Das ist mega cool, denn so habe ich genügend verschiedene Sparringpartner. Zusätzliche Trainings finden jeweils am Abend statt und zwei bis drei Mal pro Woche absolviere ich Krafteinheiten in Aarau.

Das klingt eigentlich nach ganz guten Trainingsbedingungen. Trotzdem verbringst du mehr als die Hälfte des Jahres im Ausland für deine Trainings und Wettkämpfe. Warum?
Im Ringen ist das Niveau in der Schweiz leider nicht ganz so hoch. In Osteuropa hat die Sportart einen ganz anderen Stellenwert. Dort sind alle Topringer Profis und trainieren zwei bis drei Mal am Tag. Wir reisen also ins Ausland für Trainingslager, damit wir mit diesen Topathleten trainieren können. So machen wir die grössten Fortschritte.

«Je öfter man in solchen Ländern unterwegs ist, umso mehr lernt man schätzen, was wir in der Schweiz alles haben.»

Nino Leutert, Ringer

Wo finden diese Trainingslager jeweils statt?
Das ändert immer wieder. Zuletzt waren wir ein paar Mal in Moldawien und Polen. Letztes Jahr fand auch ein Trainingslager in Aserbaidschan statt und im nächsten Jahr werden wir ein Trainingslager in Rumänien bestreiten und die EM-Vorbereitung in Russland absolvieren.

Das sind nicht gerade die klassischen Destinationen für Trainingslager verglichen mit anderen Sportarten. Nimm uns doch mal mit in ein solches Trainingslager. Wie sind die organisiert und wie sind Bedingungen vor Ort?
Die Trainingslager werden allesamt vom Schweizer Ringerverband organisiert. Wir haben einen Nationaltrainer, der zu 100 Prozent angestellt ist, und der immer mit dabei ist bei den Trainings und Wettkämpfen. In den Trainingslagern haben wir jeweils hervorragende Trainingspartner und können optimal trainieren. Aber verglichen mit der Schweiz sind die Bedingungen vor Ort schon sehr viel einfacher.

 

Ringer Nino Leutert im Trainingslager

Bild: zur Verfügung gestellt

Was heisst das?
Die Infrastruktur der Trainingsanlagen ist nicht so modern, wie wir das aus der Schweiz kennen. Und auch bei den Unterkünften ist die Bandbreite extrem gross. Teilweise haben wir tolle Hotels, aber gerade in Regionen, die nicht so touristisch sind, kann es auch anders aussehen. Da gibt es teilweise nur kaltes Wasser zum Duschen oder es kommt vor, dass es phasenweise gar kein Wasser gibt. Wir waren auch schon in Unterkünften, wo die WC Schüssel kaum richtig montiert war, oder die Zimmer extrem klein waren. Aber daran gewöhnt man sich. Klar ist aber auch: Je öfter man in solchen Ländern unterwegs ist, umso mehr lernt man schätzen, was wir in der Schweiz alles haben.

 

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Du hast vorhin erzählt, dass du 60 Prozent arbeitest, wenn du in der Schweiz bist. Mehr als die Hälfte des Jahres verbringst du aber fürs Ringen im Ausland. Reicht die Arbeit in der Schweiz, um deine Karriere als Ringer zu finanzieren?
Ein Jahr als Ringer kostet alles in allem etwa 20’000 Franken. Der Verband beteiligt sich in meinem Fall zu 30 Prozent an den Reisekosten. Der Rest übernimmt mein Verein, die Ringerstaffel Freiamt. Da habe ich natürlich ein riesiges Privileg, dass unser Verein so gross ist und viele Sponsoren hat. So fallen für mich keine Reisekosten an. Zudem wohne ich Zuhause bei meinen Eltern und kann so auch Kosten sparen. Wichtig ist für mich aber auch die Unterstützung der Schweizer Armee. Ich durfte die Spitzensport RS in Magglingen absolvieren und kann seither 130 Tage pro Jahr bezahlt trainieren. Gemeinsam mit ein paar privaten Sponsoren reicht das, um meine Karriere zu finanzieren.

Du bist ja nicht nur für die Trainingslager viel im Ausland, sondern auch für die Wettkämpfe. Wie sieht eine normale Wettkampfsaison bei dir aus?
In unserer Saison gibt es jeweils zwei Höhepunkte: die EM und die WM. Vor diesen beiden Grossanlässen bestreiten wir zwei, drei Qualifikationsturniere. Wenn wir dort unsere Leistung abliefern, werden wir für die EM oder WM selektioniert. Die Schweiz darf jeweils einen Kämpfer pro Gewichtsklasse stellen.

Ringer Nino Leutert in Aktion

Bild: zur Verfügung gestellt

Du startest in der Kategorie bis 61kg und hast an der U23 EM im letzten November Rang sieben erreicht. Dein bisher grösster Erfolg?
Ich habe an internationalen Wettkämpfen auch schon Medaillen gewonnen in meiner Altersklasse. Aber der 7. Rang an der EM bedeutet mir schon am meisten. Jetzt arbeite ich daraufhin, dass ich im nächsten Jahr an der U23 EM um die Medaillen kämpfen kann. Danach werde ich vermutlich die Gewichtsklasse wechseln und in der Kategorie 65kg antreten.

Warum?
Einerseits passt das besser zu meinen körperlichen Voraussetzungen. Ich musste mein Gewicht vor den Wettkämpfen jeweils stark runterdrücken, damit ich unter 61kg wog. Und andererseits ist die Gewichtsklasse bis 61kg nicht olympisch, bis 65kg dagegen schon. Die Olympischen Spiele sind zwar nicht mein primäres Ziel, aber im Hinterkopf sind sie natürlich schon. Darum werde ich den Wechsel der Gewichtsklasse wagen.

Hinweis

In unserer neuen Serie «World Wide Aargau» stellen wir Athletinnen und Athleten aus dem Kanton Aargau vor, die ihre Sportart im Ausland ausüben oder im Ausland trainieren. Schick uns eine Mail an redaktion@aargauersport.ch wenn du jemanden kennst, den wir in dieser Rubrik vorstellen könnten.