World Wide Aargau
«Das Schicksal hat mich hierhergeführt»
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Fussball-Torhüter Joël Mall (30) spielt seit vier Jahren auf Zypern. Im Interview erzählt er uns, wie der Fussball auf Zypern funktioniert, was die «impulsive zypriotische Fussball-Philosophie» für Auswirkungen auf seine Familie hat, welche Ziele er noch verfolgt und warum er sich bereits jetzt intensiv Gedanken über seine Zukunft macht.
Joël, du hast lange in der Schweiz gespielt, wo du bei Aarau und GC unter Vertrag warst. War für dich damals schon klar, dass du dereinst ins Ausland wechseln möchtest?
Ein Wechsel ins Ausland hat mich natürlich immer gereizt und ich habe davon geträumt, in einer grossen Liga zu spielen wie wahrscheinlich jeder Fussballer. Letztlich kannst du aber eine Karriere nicht planen. Dafür ist das Business viel zu schnelllebig.
Im Sommer 2018 hast du dann bei Darmstadt in die 2. Bundesliga unterschrieben – deine erste Station im Ausland.
Genau. Bei GC herrschte damals ein ziemliches Chaos und daher kam das Angebot genau richtig. In Deutschland wars dann aber sehr schwierig für mich. Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch und wollte unbedingt spielen. Das hat aber nicht geklappt. Mit dem Trainer hat es nicht gestimmt und ich war in dieser Phase sehr unglücklich, was meine fussballerische Perspektive in Darmstadt anging. Ich verspürte eine innere Unruhe und wollte unbedingt etwas Neues erleben.
«Ich habe sehr viele neue Dinge gelernt, neue Leute getroffen und auf der Insel eine Familie gegründet.»
Und genau in dieser Phase kam das Angebot aus Zypern vom Pafos FC, ein Verein aus dem Mittelfeld der zypriotischen Liga. Hand aufs Herz, hast du gewusst, worauf du dich einlässt bei diesem Wechsel?
Es war schon ein sehr, sehr abenteuerlicher Schritt und vielleicht wars aus sportlicher Sicht auch etwas voreilig. Aber ich war jung und wollte unbedingt spielen. Ich kannte auf Zypern einige Vereine und wusste, dass die Top-Teams auch europäisch spielen. Zudem hat das Angebot auch finanziell gepasst, so dass der Wechsel sehr schnell über die Bühne ging und ich dann in Zypern spielte. Aber ich habe sehr viele neue Dinge gelernt, neue Leute getroffen und auf der Insel eine Familie gegründet. Ich bereue daher nichts. Das Schicksal hat mich hierhergeführt.
Nimm uns doch einmal mit nach Zypern – wie wird der Fussball dort gelebt?
Auf Zypern schaut jeder und jede Fussball. Die Leute sind echt fanatisch. In jedem Restaurant und in jeder Bar werden Fussballmatches übertragen. Das Niveau der Topclubs ist sehr gut. Dort ist auch viel Geld und viel Herzblut mit dabei. Allerdings gefällt mir die Philosophie vieler Vereine hier auf Zypern nicht.
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Warum?
Kontinuität ist ein Fremdwort. Die Vereine agieren unglaublich impulsiv. Wenn nicht jedes einzelne Ziel erreicht wurde, wird im Sommer das komplette Team auf den Kopf gestellt.
Ist das der Grund, weshalb du in deinen drei Jahren auf Zypern bereits für vier verschiedene Vereine gespielt hast?
Ja, das hat tatsächlich auch damit zu tun. Der Pafos FC war mein Einstieg. Dort habe ich gut gespielt und konnte nach einem Jahr zum besten Team der Liga Apollon Limassol wechseln. Dort wurde ich bald Vize-Captain und der neue Vertrag lag schon bereit. Doch dann habe ich mir eine Gesichtsverletzung zugezogen und fiel länger aus. Das führte dazu, dass ich aus dem Kader gestrichen wurde und man mich durch einen anderen Torhüter ersetzt hat. Das wäre in der Schweiz nie passiert. Aber hier auf Zypern ist das normal. Ich habe deshalb meinen Vertrag vorzeitig aufgelöst und mich AEK Larnaka angeschlossen. Dort wurde aber im letzten Sommer der Trainer entlassen und wieder der gesamte Kader auf dem Kopf gestellt. Zum Glück habe ich bei Olympiakos Nicosia einen neuen Vertrag erhalten.
Bist du auch #aargauersport?
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Diese vielen Wechsel gehen ja auch immer einher mit dem Wechsel deines Wohnorts. Das stelle ich mir schwierig vor – gerade weil du ja mit deiner Freundin und deinen beiden Kindern dort lebst.
Ja, das ist für mich und meine Family wirklich ziemlich turbulent. Wir haben jetzt drei Mal den Wohnort gewechselt und wir müssen uns jedes Mal wieder ein neues Umfeld aufbauen. Das ist sicherlich ein Problem. Man muss aber auch sagen: Im Vergleich zu dem, was andere Sportlerinnen und Sportler auf sich nehmen für ihren Sport, ist das Jammern auf sehr hohem Niveau.
Wie sieht denn aktuell dein Alltag auf Zypern aus?
Am Morgen bringe ich die Kids in den Kindergarten und nehme mir danach ein, zwei Stunden Zeit, um für mein Studium zu arbeiten. Danach steht das Training auf dem Programm und am Nachmittag verbringe ich Zeit mit meinen Kindern. Das ist das grösste Privileg in meinem Leben als Profifussballer. Meine Freundin absolviert daneben ihr Masterstudium. Family, Sport und Studium unter einen Hut zu bringen, ist anspruchsvoll, aber wir fühlen uns sehr wohl hier.
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Es ist also keine baldige Rückkehr in die Schweiz geplant?
Sagen wir es so: Wenn ich von Zypern wegwechseln würde, dann nur in die Schweiz oder vielleicht nach Deutschland. Aber bisher sind noch keine entsprechenden Angebote eingetroffen. Denn eines habe ich schnell gemerkt: Ich kann hier ein Riesenspiel liefern und ausserhalb von Zypern und vielleicht noch Griechenland nimmt das niemand wahr. Das ist schon anders als früher in der Schweiz.
Apropos Schweiz – wie oft bist du in der Schweiz oder bist in Kontakt mit Freunden und Familie?
Ich habe einen sehr engen Austausch mit meinen Leuten in der Schweiz. Wenn nicht gerade Corona ist, bekommen wir auch viel Besuch. Ich kehre natürlich auch immer gerne in die Schweiz zurück und ich verfolge sehr genau, was im Sport in der Schweiz und im Aargau läuft. Das interessiert mich sehr.
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Generell interessierst du dich für viel mehr als «nur» für Fussball. Du hast vorhin schon erwähnt, dass du studierst. Auf LinkedIn bin ich zudem auf einen Beitrag von dir gestossen, in dem du offen über dein mögliches Karriereende gesprochen hast (siehe unten). Ein Satz ist mir dabei besonders aufgefallen. Du hast über «den Respekt vor dem drohenden mentalen Loch zwischen dem Karriereende und dem passenden Einstieg ins Berufsleben» geschrieben. Wie stark beschäftigst du dich damit?
Für mich ist dieses Thema extrem präsent. Ich bin ein absoluter Sicherheits-Typ. Natürlich ist es mir bewusst, dass ich als Fussballer privilegiert bin und gut verdiene. Ich könnte also ein kurzes Loch zwischen Karriereende und Berufseinstieg problemlos überbrücken. Aber ich will verhindern, dass ich überhaupt in dieses Loch falle. Darum befasse ich mich sehr intensiv damit, wie es weiter geht nach dem Fussball. Deshalb studiere ich und baue mir aktiv ein Netzwerk auf. Ich will vorbereitet sein auf den Moment, wo für mich die Sinnhaftigkeit im Fussball nicht mehr gegeben ist und ich etwas anderes machen möchte.
Gibt es da schon konkrete Pläne?
Nein, da ist noch nichts spruchreif. Es sind ein paar Ideen da, aber ich muss auch ehrlicherweise sagen, dass ich mit Fussball, Studium und dein zwei Kids genug zu tun habe. Und ich habe auch noch immer grosse Ziele als Fussballer.
Welche?
Ich will im Sommer unbedingt nochmals einen Schritt nach vorne machen. Mit meinem Verein spiele ich aktuell in der Abstiegsrunde. Das ist nicht dort, wo ich spielen möchte. Deshalb will ich im Sommer wechseln – entweder zu einem Spitzenteam auf Zypern, wo ich europäisch spielen kann. Oder dann zurück in die Schweiz.
Der LinkedIn-Post von Joël Mall in voller Länge
Hinweis
In unserer neuen Serie «World Wide Aargau» stellen wir Athletinnen und Athleten aus dem Kanton Aargau vor, die ihre Sportart im Ausland ausüben oder im Ausland trainieren. Schick uns eine Mail an redaktion@aargauersport.ch wenn du jemanden kennst, den wir in dieser Rubrik vorstellen könnten.