Über den Tellerrand

Die besten Seilzieher der Schweiz kommen aus Sins

von Fabio Baranzini – 12. September 2019

Seilzieher in der Kategorie Mixed in Aktion

Bilder: Zur Verfügung gestellt

In unserer Serie «Über den Tellerrand» stellen wir euch Sportarten vor, die im Kanton Aargau betrieben werden, aber in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind. Diesmal ist Seilziehen an der Reihe.

Die Schweiz ist im Seilziehen absolute Weltklasse. Das hat sie am letzten Wochenende an den Europameisterschaften bewiesen, wo alle Teams, die angetreten sind, eine Medaille gewonnen haben. Sechs Mal Gold, einmal Silber und drei Mal Bronze – dies die beeindruckende Ausbeute der Schweiz, die damit auch die erfolgreichste Nation dieser Titelkämpfe war.

Nicht weniger als 15 Athleten innerhalb der zehn Schweizer Nationalteams stellte der Seilziehclub Sins. Das ist kein Zufall, denn der Aargauer Club ist schweizweit der erfolgreichste Verein. Derzeit sind die Freiämter Schweizer Meister bei den Männern 580kg, den Frauen 520kg und den Junioren U23. 

Eine familiäre Angelegenheit

Rund 350 aktive Seilzieher aus 19 verschiedenen Vereinen gibt es in der Schweiz. Etwas mehr als 50 davon ziehen im Aargau. Rund 40 sind Mitglied beim Seilziehclub Sins, der Rest gehört dem Seilziehclub Waltenschwil-Kallern an. Seilziehen ist – wie bei Randsportarten oft – eine familiäre Angelegenheit. Das ist auch in Sins nicht anders. Wer die Mannschaftslisten des Vereins durchschaut, der stösst unweigerlich auf den Namen Villiger. Nicht weniger als acht «Villigers» sind in Sins aktiv. Zwei davon sind gar noch im Vorstand.

Familie hin oder her – was uns viel mehr interessiert ist die Frage: Was steckt eigentlich alles hinter diesem etwas urchig anmutenden Seilziehen? Wir haben bei Melanie Villiger nachgefragt. Sie muss es wissen, denn sie ist mit Sins nicht nur amtierende Schweizer Meisterin, sondern wurde am vergangenen Wochenende nach zwei U23-WM-Titeln erstmals auch Europameisterin bei der Elite.

«Ein Kampf kann auch mal vier oder fünf Minuten dauern. Das wird sehr anstrengend, aber man darf nie aufgeben. Das ist die wichtigste Eigenschaft für einen guten Seilzieher.»

Melanie Villiger, Europameisterin im Seilziehen

Viel mehr als nur Kraft

Um Seilziehen besser zu verstehen, beginnen wir mit den Grundregeln. «Zwei Mannschaften mit je acht Personen ziehen gegeneinander. Das Ziel ist, dass eine der beiden Mannschaften vier Meter rückwärtslaufen kann. Wenn das gelingt, hat man den ersten Zug gewonnen. Nach einer kurzen Pause misst man sich nochmals mit demselben Gegner, tauscht jedoch die Seiten. Dies für den Fall, dass der Boden auf einer Seite besser ist», erklärt Melanie Villiger das Grundprinzip der Sportart. Wer beide Duelle gewinnt, sichert sich drei Punkte. Bei einem Unentschieden gibt es je einen Punkt. Die Teams werden unterteilt in unterschiedliche Gewichtsklassen. Bei den Männern gibt es in der Schweiz die Kategorie 580kg, die Kategorie 640kg und die Kategorie 680kg. Bei den Frauen gibt es nur die Kategorie 520kg. Zudem gibt es die Mixed-Kategorie 580kg und bei den Junioren wird in der Kategorie U19 und U23 gezogen. Das Gewicht steht für das Gesamtgewicht der acht Teammitglieder.
Klingt eigentlich ganz einfach. Bei genauerem Hinschauen erkennt man jedoch schnell, dass dem nicht so ist. «Kraft allein genügt nicht, da braucht es einiges mehr», bestätigt denn auch Melanie Villiger. Durchhaltewille und mentale Stärke sind mindestens genauso entscheidend. Denn: «Ein Kampf kann durchaus auch mal vier oder fünf Minuten dauern. Das wird dann sehr anstrengend, aber man darf nie aufgeben. Das ist wohl die wichtigste Eigenschaft für einen guten Seilzieher.»

Kommunikation und Taktik

Ebenfalls wichtig ist die Kommunikation im Team. Schliesslich müssen die acht Teammitglieder perfekt miteinander harmonieren, wenn sie gewinnen wollen. Entsprechend gibt es verschiedene Rollen innerhalb der Mannschaft. «Der vorderste sagt jeweils, was der Gegner macht, und derjenige in der Mitte gibt vor, wann das eigene Team einen Angriff lanciert. Diese beiden Positionen kommunizieren am meisten», erklärt Melanie Villiger. Auch der Coach kann von aussen Anweisungen geben.
Auf Spitzenniveau spielt dann auch die Taktik eine entscheidende Rolle. «Wir ziehen meist nicht sofort Vollgas, sondern halten die ersten zwei, drei Minuten einfach den Druck des Gegners. Erst wenn sie etwas müde werden, erhöhen wir den Druck. Dann braucht es weniger Kraft, um die vier Meter zurückzulegen», beschreibt Melanie Villiger eine von vielen taktischen Varianten, die im Seilziehsport zur Anwendung kommen.

Seilzieher bei den Männern in Aktion

Bild: Zur Verfügung gestellt

Hinweis

Wer weitere Informationen zum Seilziehen im Kanton Aargau sucht oder die Sportart selber einmal ausprobieren möchte, der findet dies auf der Webseite des Seilziehclub Sins oder des Seilziehclubs Waltenschwil-Kallern.