World Wide Aargau
«Ich arbeite 20 Prozent, damit ich meine Rechnungen bezahlen kann»
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Eisschnellläuferin Ramona Härdi (24) aus Möriken lebt und trainiert in Deutschland, weil es in der Schweiz schlicht nicht möglich ist, ihren Sport professionell auszuüben. In unserer Serie «World Wide Aargau» erzählt sie, wie sie ihre Profi-Karriere organisiert und finanziert.
Bald beginnt für dich die neue Weltcupsaison. Wie laufen die Vorbereitungen?
Wir stecken mitten in den letzten Vorbereitungen auf die Weltcupsaison, die Mitte November beginnt. Das heisst, die Trainings sind aktuell ziemlich intensiv und ab Ende Oktober stehen dann auch bereits die ersten Wettkämpfe an.
Wie sieht denn dein Trainingsalltag im Moment aus?
Normalerweise trainieren wir zwei Mal pro Tag auf dem Eis. Die erste Einheit beginnt jeweils etwa um 9 Uhr morgens und dauert rund 90 Minuten. Ich beginne jeweils schon eine Stunde vorher mit dem Aufwärmen, nach dem Training folgt das Auslaufen. Nach dem Mittagessen steht immer ein Mittagsschlaf auf dem Programm. Der ist entscheidend für die Regeneration. Um 15 Uhr folgt dann das zweite Eistraining, das mehr oder weniger analog zum Vormittag abläuft.
«Dann werden die Tage sehr lang und anstrengend. Vor allem weil ich ja dann am Abend nicht einfach auf der faulen Haut liege.»
Wenn ich das richtig zusammengerechnet habe, sind das dann rund sechs bis sieben Stunden Training pro Tag.
Ja, das kommt in etwa hin. Natürlich haben wir auch Tage, wo wir nur vier oder fünf Stunden trainieren. An anderen Tagen sinds dafür dann acht oder noch etwas mehr. Das kann schon sehr intensiv werden – gerade in den Sommermonaten, wo wir auch noch intensiv im Kraftbereich arbeiten. Dann werden die Tage sehr lang und anstrengend. Vor allem weil ich ja dann am Abend nicht einfach auf der faulen Haut liege.
Sondern?
Entweder mache ich dann noch einmal etwas für meine Regeneration oder aber ich kümmere mich um mein Material. Da gehört beispielsweise das Schleifen der Kufen dazu. Das kann gut und gerne nochmals zwei Stunden dauern.
Da es in der Schweiz keine überdachte 400m Eisbahn gibt, verbringst du gemeinsam mit dem Schweizer Nationalteam sehr viel Zeit in Deutschland. Wie genau habt ihr euch da organisiert?
Von März bis September trainieren wir in Geisingen in der Nähe der Schweizer Grenze, wo wir unsere Sommerbasis haben. Dort wohne ich in einer WG mit den anderen Athletinnen und Athleten meiner Trainingsgruppe. Die freien Sonntage verbringe ich dann normalerweise Zuhause im Aargau. In Geisingen haben wir eine Indoor und eine Outdoor Inlineskating-Bahn, auf der wir trainieren können. In den Wintermonaten verlegen wir unsere Trainingsbasis dann nach Inzell in Oberbayern. Dort haben wir eine Eishalle, wo wir optimal trainieren können.
Nicht nur fürs Training bist du praktisch immer im Ausland, sondern auch für die Wettkämpfe. Wie viel reist du dafür?
Das kommt natürlich ganz drauf an, wo die Wettkämpfe stattfinden. Die ersten vier Weltcups sind in dieser Saison in Polen, Norwegen, den USA und Kanada geplant. Bei diesen Wettkämpfen reisen wir jeweils fast eine Woche im Voraus an, um uns ideal vorbereiten zu können. Dann haben wir aber natürlich auch viele kleinere Wettkämpfe in Inzell selbst. Da wird dann die Vorbereitung für die Wettkämpfe um einiges kürzer. Wir haben aber praktisch jedes Wochenende Wettkämpfe.
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Du lebst fast das ganze Jahr im Ausland und reist für die Wettkämpfe viel umher. Das geht ganz schön ins Geld.
Das stimmt. Eine Saison als Profi-Eisschnellläuferin kostet schnell rund 50’000 Franken, wenn ich Wohnung, Trainings, Material, Trainingslager und Reisen miteinrechne.
Diese Summe via Preisgeld zu verdienen, wird wohl schwierig.
Nicht nur schwierig, das ist unmöglich. Preisgeld gibt’s im Eisschnelllauf nämlich nur für die Top 3 an einem Weltcuprennen. Und nicht mal für diese Athletinnen reicht es, um davon leben zu können. Für mich gibts an den Weltcuprennen keine Preisgelder, da ich noch nicht ganz vorne mitmischen kann.
Wie finanzierst du dir denn deine Profikarriere?
Der Verband übernimmt die Kosten für den Trainer und unterstützt uns bei den Reisekosten für die Weltcups. Zudem habe ich private Sponsoren und enorm wichtig sind für mich auch die Schweizer Sporthilfe und die Schweizer Armee.
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Du hast 2018/19 die Spitzensport-RS absolviert. Inwiefern kannst du heute noch von der Armee profitieren?
Ich darf 130 WK-Tage im Jahr leisten. Das heisst, ich kann 130 Tage lang quasi auf Kosten der Armee trainieren und bin erst noch ideal versichert. Das ist natürlich enorm wertvoll für meine Karriere. Trotzdem arbeite ich noch 20 Prozent als technische Zeichnerin, damit ich am Ende des Monats meine Rechnungen bezahlen kann.
Wie kriegst du das zeitlich hin?
Das ist wirklich nicht ganz einfach. Ich arbeite manchmal abends noch an diesen Projekten. Das hilft mir, um den Kopf freizubekommen.
Für dich steht der kommende Winter ganz im Zeichen der Olympischen Spiele in Peking. Wie stehen deine Chancen, dass du dich nach Pyeongchang 2018 noch ein zweites Mal qualifizierst?
2018 kam meine Teilnahme ziemlich überraschend. Diesmal sind die Spiele mein grosses Ziel. Das ist eine andere Ausgangslage. Ich möchte mich im Massenstart-Rennen und mit der Staffel qualifizieren. Es ist definitiv realistisch, dass ich in beiden Disziplinen an den Olympischen Spielen starten kann. Entscheidend dafür werden meine Leistungen an den vier Weltcups im November und Dezember sein.
Hinweis
In unserer neuen Serie «World Wide Aargau» stellen wir Athletinnen und Athleten aus dem Kanton Aargau vor, die ihre Sportart im Ausland ausüben oder im Ausland trainieren. Schick uns eine Mail an redaktion@aargauersport.ch wenn du jemanden kennst, den wir in dieser Rubrik vorstellen könnten.