World Wide Aargau
«Ich habe das Rudern in Amerika neu kennengelernt»

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Die 21-jährige Ruderin Olivia Roth aus Berikon hat ihren Lebens- und Trainingsmittelpunkt nach Kalifornien verlegt, wo sie für die University of California, Berkeley rudert. In unserer Serie «World Wide Aargau» erzählt sie, wie sie sich eingelebt hat, wie ihr Alltag in Amerika aussieht und wo die Unterschiede im Rudersport zwischen der Schweiz und den USA liegen.
Olivia, du studierst und trainierst seit September in Kalifornien. Aktuell bist du aber gerade in der Schweiz und bist für das Schweizer Nationalteam im Einsatz.
Genau, im habe Semesterferien und in dieser Zeit rudere ich an den Weltcuprennen und allenfalls im Herbst dann auch noch an der WM in Shanghai, falls ich teilnehmen darf. Wenn die WM stattfindet, würde allerdings das neue Semester an der Uni bereits wieder laufen.
Das wäre aber kein Problem?
Nein. Das ist ein grosser Vorteil an den amerikanischen Unis: Sie ermöglichen dir nicht nur das Studieren, sondern sie setzen sich auch dafür ein, dass du in deinem Sport richtig performen kannst. Ich muss nur melden, dass ich an der WM teilnehmen darf, und sie organisieren alles Administrative für mich. Das ist schon sehr cool.
Lass uns doch gleich noch mehr über den Sport in Amerika reden. Dazu zuerst die Frage: Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, für den Rudersport nach Amerika zu ziehen?
Schon vor rund vier Jahren wurde ich via Social Media von verschiedenen Coaches aus Amerika kontaktiert, die mich für ihr Universitätsteam rekrutieren wollten. An der Junioren WM 2021 waren viele dieser Coaches vor Ort und haben mich und viele andere Athletinnen beobachtet. Es war wie in diesen amerikanischen Sportfilmen, wo junge Talente darauf hoffen, entdeckt zu werden.

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Und wie ging es nach dieser Junioren WM weiter?
Nach der WM hätte ich eigentlich verschiedene Universitäten besuchen sollen, um mir ein Bild vor Ort zu machen. Doch ich bekam Corona und konnte nicht reisen. Ein Trainer – das war völlig verrückt – ist dann wirklich aus Ohio nach Zürich geflogen, nur um mit mir und meiner Mutter zu sprechen. Das war völlig surreal. Die definitive Entscheidung, an welche Universität ich gehe, habe ich dann aber erst im Sommer 2022 getroffen. Ich hatte an der U23 WM persönliche Gespräche mit verschiedenen Coaches geführt. Das beste Gefühl hatte ich bei der Trainerin von der UC Berkeley – es war das natürlichste Gespräch. Ich habe mir im Anschluss dann auch nur diese Universität angeschaut und mich dann definitiv entschieden. Mit ein Grund war sicher auch die Tatsache, dass mein älterer Bruder Tim auch an dieser Uni studiert und rudert.
Im September bist du vom beschaulichen Berikon an die UC Berkeley gezogen, die zu den renommiertesten Universitäten der USA gehört und an der über 40’000 Personen studieren. Wie war dieser Wechsel für dich?
Das war schon eine grosse Umstellung. Ich wohnte in meinem ersten Jahr in einem sogenannten «Dorm» direkt auf dem Campus – so wie alle Studierenden des ersten Jahres. Ich teilte mir dort ein Zimmer mit einer Teamkollegin, mit der ich mich zum Glück von Anfang an gut verstanden habe. Aufgrund der Tatsache, dass mein Bruder auch an derselben Uni studiert und schon länger da ist, fiel mir die Umstellung viel leichter. Jemanden aus der Familie vor Ort zu haben, mit dem man sich regelmässig treffen und Schweizerdeutsch reden kann, hat enorm geholfen.
Bist du auch #aargauersport?
Egal ob Sportlerin, Trainer, Schiedsrichterin, Funktionär, Vorstandsmitglied, Organisator oder leidenschaftlicher Fan – erzähl uns deine Geschichte!
Wirst du auch im kommenden Jahr wieder in den «Dorms» wohnen?
Nein, dann werde ich mit vier Teamkolleginnen in einer WG in der Stadt wohnen. Das wird sicher auch eine coole Erfahrung.
In der Schweiz ist Rudern – auch wenn zu zweit und zu viert gerudert wird – ein Einzelsport. Die Amerikaner sind jedoch bekannt dafür, dass bei ihnen auch Einzelsportarten an den Universitäten wie Teamsportarten gelebt werden. Das hat uns beispielsweise die Tennisspielerin Sophie Lüscher erzählt. Ist das im Rudern auch so?
Ja, definitiv. Wir sind rund 50 Frauen, die zum Ruderteam der UC Berkeley gehören. Wir trainieren jeden Tag zwei Mal und bestreiten diese Trainings immer gemeinsam. Man steht am Morgen miteinander auf, fährt miteinander zum See und trainiert gemeinsam. Und das mit nur einem Ziel: Als Team besser zu werden. Das ist ein riesiger Unterschied zur Schweiz, wo alle Teams viel kleiner sind, man viel mehr auf sich selbst schaut und auch oft alleine trainiert.
Wie war diese Umstellung für dich?
Ich musste zuerst lernen, dass es hier in Amerika nicht nur ums Gewinnen geht. Damit hatte ich am Anfang richtig Mühe. Ein Beispiel: Ich hätte aufgrund meiner Trainingsleistungen eigentlich im stärksten Boot unserer Uni an den Nationals – dem wichtigsten Wettkampf des Jahres – rudern sollen. Die Trainer haben mich aber ins zweite Boot gesetzt. Ich war angefressen und dachte, sie hätten gegen mich entschieden. Bis ich realisierte, dass sie einfach für meine Teamkolleginnen entschieden haben. In dem Fall für jemanden, der das letzte Mal die Chance hatte, an den Nationals im ersten Boot zu rudern, was gerade für die Amerikaner eine grosse Sache ist. Ich bin dann im zweiten Boot gerudert. Dort hatte ich unglaubliche Teamkolleginnen, mit denen ich eine so tolle Zeit erleben durfte wie noch nie zuvor. Man kann daher schon sagen, dass ich das Rudern in Amerika neu kennengelernt habe.

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Was meinst du damit?
In Amerika legen die Trainer viel mehr Wert auf die Teamkultur. Es geht darum, als Team etwas zu erreichen. Es geht nicht um dich als Einzelsportlerin. Es geht darum, Teamkolleginnen aufzubauen, mitzuhelfen und einander zu unterstützen. Diese Form von Zusammenarbeit und Teamzusammenhalt kannte ich vor meiner Zeit in Amerika nicht. Ich bin dadurch innerlich viel ruhiger geworden und mache mir weniger Druck. Das hilft mir auch für meine persönlichen Leistungen. Aber nicht falsch verstehen: Die Trainings sind genau wie in der Schweiz unglaublich hart und anstrengend. Der Fokus liegt einfach viel mehr auf dem Team als auf dem Individuum.
Wie haben sich denn deine sportlichen Leistungen in Amerika entwickelt?
Ich konnte mich vor allem physisch stark verbessern. Beispielsweise konnte ich meine Bestzeit auf dem Ergometer um 13 Sekunden senken, nachdem ich zuvor in der Schweiz drei Jahre lang mehr oder weniger immer dieselben Zeit gerudert bin. Ich denke, dass dies unter anderem damit zusammenhängt, dass ich mir mittlerweile weniger Druck mache beim Rudern.
«Diese Form von Zusammenarbeit und Teamzusammenhalt kannte ich vor meiner Zeit in Amerika nicht.»
Warst du während deinem ersten von insgesamt vier Jahren in Amerika mit den Trainern des Schweizer Nationalteams im Austausch?
Ja, gerade mit meinen U23-Coaches stand ich regelmässig im Austausch. Auch der neue Headcoach, der seit Anfang Jahr im Amt ist, interessiert sich sehr dafür, was ich in Amerika mache. Ich führe ein Trainingstagebuch in einer App, das er regelmässig anschaut und daher genau weiss, was ich trainiere und wie meine Zeiten aussehen.
War das auch der Grund, weshalb du einen Platz in den Schweizer Weltcup Booten bekommen hast, obwohl du die nationalen Trials verpasst hast, weil du in Amerika warst?
Ja, ich denke schon. Die Trainer kennen mich aber natürlich auch noch von den Jahren zuvor und wissen, was ich kann. So durfte ich im ersten Weltcup im Doppelzweier an den Start, beim zweiten Weltcup in Luzern am nächsten Wochenende wird es nun der Doppelvierer sein. Dass ich im Weltcup starten darf, obwohl ich die Trials verpasst habe, schätze ich sehr.
Hinweis
In unserer Serie «World Wide Aargau» stellen wir Athletinnen und Athleten aus dem Kanton Aargau vor, die ihre Sportart im Ausland ausüben oder im Ausland trainieren. Schick uns eine Mail an redaktion@aargauersport.ch wenn du jemanden kennst, den wir in dieser Rubrik vorstellen könnten.