World Wide Aargau

«Ich muss mich in jedem Training beweisen»

von Fabio Baranzini – 12. April 2021

Die Aargauer Handballerin Daphne Gautschi in Aktion

Bild: zur Verfügung gestellt

Als 11-Jährige begann Daphne Gautschi beim TV Muri Handball zu spielen. Zwei Jahre später lief sie bereits bei den Aktiven auf und vier weitere Jahre danach folgte der Wechsel nach Frankreich. Im Rahmen unserer Serie «World Wide Aargau» haben wir mit Daphne Gautschi über ihre Erfahrungen als Profi Handballerin im Ausland gesprochen.

Daphne, du hast bereits im Alter von 17 Jahren die Schweiz in Richtung Frankreich verlassen. Das ist ungewöhnlich früh. Wie kam es dazu?
Seit ich Handball spiele, sagte ich, dass ich ins Ausland wechseln werde. Aber ganz ehrlich: Das ist schnell gesagt, wenn man davon träumt. Mit 17 habe ich noch nicht aktiv nach einem Club im Ausland gesucht, aber ich habe verschiedene Angebote erhalten. Unter anderem eines aus Metz. Meine Eltern sind grosse Frankreich-Fans und Metz machte klar, dass sie mich unbedingt wollten. Also sind wir dahingefahren und haben uns alles angeschaut. Unser Eindruck war sehr gut. Als dann auch noch klar war, dass ich die Matura in Frankreich abschliessen kann – was natürlich vor allem meine Mutter freute, die als Französischlehrerin arbeitet – war für uns klar, dass ich den Wechsel wagen werde.

Was hat dich gereizt am Wechsel nach Metz?
Ich wollte einfach richtig guten Handball spielen. Und für mich war klar, dass ich in Metz den nächsten Schritt auf dem Weg dahin machen kann. Zudem wollte ich Neues erkunden und eine neue Sprache lernen. Wenn ich allerdings gewusst hätte, wie hart es wird, hätte ich es mir vielleicht nochmals anders überlegt. (lacht)

«Das war ein richtiger Kulturschock. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit, als ich zwölf Jahre alt war.»

Daphne Gautschi, Profi Handballerin

Wie meinst du das?
Ich lebte zuerst in einem Internat. Das war ein richtiger Kulturschock. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit, als ich zwölf Jahre alt war. Alles wurde mir vorgeschrieben. Wann ich das Licht löschen muss, wann ich ins Bett gehen muss, wann ich zu lernen habe. Nach drei Monaten habe ich das Internat verlassen und bin ins «Centre de Formation» des Vereins gezogen.

Dort war es besser?
Ja, das war super. Dort habe ich mit allen anderen Spielerinnen des «Centre de Formation» in einer Art «Riesen-WG» gewohnt. Wir waren da vielleicht 12 Spielerinnen und jede hatte ihr eigenes Zimmer. Das war cool. Wir wurden vom Verein gut betreut und haben auch neben den Trainings viel Zeit gemeinsam verbracht.

Ich stelle es mir dennoch ziemlich anspruchsvoll vor, mit 17 Jahren in einem fremden Land mit einer fremden Sprache ein neues Leben als Sportlerin aufzubauen.
Ja, das ist nicht einfach. Gerade der Anfang war mental extrem anstrengend. Nach zwei Schulstunden auf Französisch war meine Konzentration eigentlich bereits am Ende. Aber da musste ich durch. Hinzu kamen ein bis zwei Trainings pro Tag, die auch sehr intensiv waren. An diese Umstellung musste ich mich zuerst gewöhnen.

Die Aargauer Handballerin Daphne Gautschi in Aktion

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Trotzdem hast du schon nach wenigen Monaten in Metz deine ersten Einsätze in der ersten Mannschaft bekommen – unter anderem in der Champions League.
In der Nacht vor dem ersten Champions League Spiel habe ich kaum geschlafen. Dass ich trotzdem mein erstes Tor schiessen konnte, war grossartig. Deswegen gehörte ich aber noch längst nicht zur ersten Mannschaft. Ich durfte bloss ab und zu mittrainieren. Mein Team war aber die zweite Mannschaft, wo ich auch für zwei Jahre unterschrieben hatte.

Wie gings für dich nach diesen zwei Jahren weiter?
Ich habe meinen ersten Profivertrag in der ersten Mannschaft von Metz unterschrieben und habe jetzt das Privileg, dass ich ausschliesslich vom Handball leben kann. In meinem ersten Profijahr wurde ich nach Bietigheim in die Deutsche Bundesliga ausgeliehen. In diesem Jahr spiele ich nun meine erste richtige Saison für die erste Mannschaft von Metz.

Und wie läuft es?
Es läuft gut. Wir duellieren uns mit Brest um den Titel und hoffen, dass wir die Saison trotz Corona regulär beenden können. Das Leben als Profi für Metz ist aber auch ganz schön anstrengend. Metz gehört zu den besten acht Teams in Europa und das obwohl der Verein nicht allzu viel Geld hat. Das hat zur Folge, dass wir viele junge Spielerinnen haben und enorm viel trainieren.

Was heisst das?
Obwohl wir jede Woche zwei Matches bestreiten und dafür teilweise auch ziemlich weit reisen müssen, absolvieren wir jede Woche sechs bis sieben Trainingseinheiten. Und da gilt es, immer Vollgas zu geben. Vor allem für mich, da ich keinen Stammplatz habe. Ich muss mich also in jedem Training beweisen. Und wenn mal ein Training nicht so gut lief, weiss ich, dass ich im nächsten Training noch mehr geben muss, wenn ich im nächsten Spiel auflaufen will. Das ist mega intensiv, macht aber auch sehr viel Spass.

Die Aargauer Handballerin Daphne Gautschi feuert ihre Teamkolleginnen an

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Du spielst seit vier Jahren im Ausland. Wie hast du dich in dieser Zeit weiterentwickelt?
Ich habe gelernt, durchzubeissen und nicht aufzugeben. Ich weiss, dass wieder bessere Zeiten kommen, wenn man hart weiterarbeitet. Und ich habe mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten.

Wenn du dein jetziges Leben als Handballprofi vergleichst mit deiner Zeit in der Schweiz – wo liegen da die grössten Unterschiede?
In den letzten vier Jahren ist natürlich in der Schweiz einiges passiert und die Vereine versuchen, immer professioneller zu arbeiten. Aber der grösste Unterschied ist halt schon, dass man in der Schweiz nicht als Profi spielen kann. Wenn ich höre, dass es in der Schweiz Spielerinnen gibt, die acht Mal pro Woche trainieren und daneben noch Medizin studieren, habe ich grösste Bewunderung dafür. Im Vergleich dazu habe ich ein schönes Leben.

Obwohl du derzeit bei einem der besten Clubs in Europa spielst, wechselst du im Hinblick auf die kommende Saison. Neu spielst du bei Neckarsulm in der Bundesliga. Warum?
Ich wäre mega gerne in Metz geblieben. Die vier Jahre waren toll und ich fühle mich hier sehr zu Hause. Für meine Entwicklung ist es jedoch wichtig, dass ich mehr Spielpraxis bekomme und so auch befreiter aufspielen kann. Ich möchte gerne mehr Verantwortung übernehmen. Diese Chance bekomme ich in Neckarsulm.

World Wide Aargau

In unserer neuen Serie «World Wide Aargau» stellen wir Athletinnen und Athleten aus dem Kanton Aargau vor, die ihre Sportart im Ausland ausüben oder im Ausland trainieren. Schick uns eine Mail an redaktion@aargauersport.ch wenn du jemanden kennst, den wir in dieser Rubrik vorstellen könnten.