Sportförderung

«Ich wünsche mir ganz viele verrückte Verbandsvorsitzende»

von Fabio Baranzini – 30. März 2021

Jörg Sennricht, Präsident der IG Sport Aargau, während seiner Rede am Sport Forum Aargau

Bild: Fabio Baranzini

Jörg Sennrich, Präsident der IG Sport Aargau, blickt im Interview auf das schwierige Sportjahr 2020 zurück und spricht über die ambitionierten Projekte, mit denen die IG den Sport im Kanton Aargau künftig unterstützen will.

2020 war ein schwieriges Jahr für den Aargauer Sport. Was waren aus Ihrer Sicht als Präsident der IG Sport Aargau die grössten Herausforderungen für die Sportverbände in unserem Kanton?
Der Ausfall des Trainings- und Spielbetriebs für unsere Jugend war sicherlich eine grosse Challenge, denn die Jugendlichen sind für alle Sportverbände die Zukunft. Ohne einen begeisterten Nachwuchs gibt es auch keine sportliche Perspektive in den Vereinen und Sportverbänden. Unsere Verbändewaren aber auch gezwungen, in Situationen mit ganz vielen Unbekannten und ganz viel Unsicherheit Entscheidungen zu treffen. Und zwar Entscheidungen, von denen man schon im Voraus wusste, dass sie nicht allen passen werden. In dieser Situation hat man erkannt, wie komplex unser Sportsystem ist und wie eigenständig unsere Verbände arbeiten. Die Coronakrise zeigt auch, dass das gemeinsame Miteinander im ganzen Schweizer Sportsystem noch viel Potenzial hat.

Wie meinen Sie das?
Wenn ich mir das Jahr 2020 nochmals vor Augen führe, habe ich während des Lockdowns im März und direkt danach eine Solidarität der Sportszene erlebt. Dies deshalb, weil die Situation für alle gleich war. Als dann aber die schrittweisen Öffnungen kamen und jede Sportart dafür kämpfte, dass sie möglichst viele Freiheiten bekommt, war es vorbei mit dem gemeinsamen Miteinander. Da hat das «Gärtchendenken» wieder überhandgenommen.

«Der Sport ist eine tragende Säule unserer Gesellschaft, was leider viel zu oft vergessen geht.»

Jörg Sennrich, Präsident IG Sport Aargau

Das klingt nicht gerade erfreut. Was hat Sie daran gestört?
Für viele ging es in erster Linie darum, ihre eigene Sportart zu positionieren. Viel zu selten ging es um die gemeinsamen Interessen zugunsten des Sports. Diese Eigeninteressen haben den Sport teilweise blockiert. Die Coronakrise hat aus meiner Sicht klar aufgezeigt, dass der Sport eine stärkere Einheit werden muss und eine noch bessere Lobby braucht. Genau dafür setzen wir uns bei der IG Sport Aargau ein.

Seit ein paar Monaten ist klar, dass die IG Sport Aargau bis 2024 vom Kanton unterstützt wird und das Pensum der Geschäftsstelle von 50 auf 70 Prozent aufgestockt wurde. Welche neuen Möglichkeiten bieten sich dadurch?
Konkret haben wir einen Tag mehr Manpower. Das ist unheimlich viel wert, denn so können wir noch präsenter sein, noch mehr Know-how und noch mehr Energie für die Anliegen des Aargauer Sports aufbringen. Dank den neuen Voraussetzungen ist es möglich, dass wir unsere Projekte noch professioneller vorantreiben können, was dringend nötig ist.

Welche Themen möchte die IG Sport Aargau denn in den kommenden Wochen und Monaten in Angriff nehmen, um die Aargauer Sportver­bände in dieser aktuell schwierigen Situation zu unterstützen?
Wir haben uns in den letzten Monaten intensiv mit genau dieser Frage befasst. Im engen Austausch mit unseren Mitgliedern und weiteren Exponenten der Sportszene haben wir in mehreren Workshops vier Bereiche erarbeitet, um die wir uns primär kümmern wollen. Das ist bessere Vernetzung der Sportverbände untereinander, die Stärkung des Ehrenamts, die bessere Vernetzung des Sports mit Politik und Wirtschaft sowie die Digitalisierung des Breitensports.

Das sind grosse Themen, derer sich die IG Sport Aargau annehmen will. Schauen wir doch die einzel­nen Punkte etwas genauer an. Welche Chance sehen Sie in einer besseren Vernetzung der Aargauer Sportverbände?
Wir sind überzeugt, dass unsere Mitglieder davon profitieren können, wenn wir unsere Kräfte und unser Know-how bündeln und Erfahrungswissen verfügbar machen. Dafür muss man einander kennen und es braucht passende Gefässe für diesen Austausch. Beides wollen wir ermöglichen. Auf diese Weise wollen wir einen wichtigen Beitrag leisten, um bestehende Strukturen aufzubrechen und Perspektiven zu verrücken. Darum wünsche ich mir ganz viele «verrückte» Verbandsvorsitzende, die bei diesem Vorhaben gemeinsam mit uns am selben Strang ziehen.

Sportidalog 9bis11 der IG Sport Aargau

Bild: Fabio Baranzini

In der heutigen Zeit wird es immer schwieriger, ehrenamtliche Helferinnen und Helfer zu finden. Die Individualisierung in unserer Gesellschaft und auch im Sport wurde nicht zuletzt durch die Coronakrise noch verstärkt. Wie kann die IG Sport Aargau helfen, das Ehrenamt zu stärken?
Das ist in der Tat eine grosse Herausforderung. Wir glauben, dass der Sport allein dieses Problem nicht lösen kann. Deshalb wollen wir hier die Brücke zur Wirtschaft schlagen. Uns schwebt vor, dass wir eine Kooperation mit Partnern aus der Wirtschaft und anderen Förderer der Freiwilligenarbeit initiieren und uns gemeinsam dafür einsetzen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ihren Arbeitgebern eine sogenannte «Ehrenamtszeit» erhalten. Damit das gelingt, müssen wir aufzeigen, welche unheimlich wichtige Funktion das Ehrenamt im Sport für die Wirtschaft und damit auch für die gesellschaftliche Entwicklung hat.

Bei diesem Projekt versucht die IG Sport Aargau die Wirtschaft ins Boot zu holen. Weshalb ist es so wichtig, dass der Sport sich mit der Wirtschaft und der Politik vernetzt?
Die Sportszene ist leider nur punktuell mit Politik und Wirtschaft vernetzt. Da haben wir noch sehr viel Potenzial und Gestaltungsraum. Unser Hauptziel ist es, dass die Arbeit, die im Sport ehrenamtlich geleistet wird, anerkannt wird. Der Sport ist eine tragende Säule unserer Gesellschaft, was leider viel zu oft vergessen geht. Das wollen wir in der Politik, der Wirtschaft und somit in unserer Gesellschaft verankern.

Der letzte Punkt auf der Agenda der IG Sport Aargau ist die Digitali­sierung des Breitensports. Wovon reden wir da konkret?
Gemeinsam mit der FHNW möchten wir die Bedürfnisse unserer Verbände im Bereich der Digitalisierung abholen und daraus Praxisleitfäden und Workshops erarbeiten, von denen die Verbände dann wiederum profitieren können. Dabei geht es um Themen wie die Optimierung der internen Prozesse, die digitale Vermarktung des Sports, Online-Reservationssysteme oder die Optimierung der digitalen Kommunikation. Für Letzteres haben wir von der IG Sport Aargau mit der Lancierung unserer Kommunikations-App für die Aargauer Sportverbände bereits ein Projekt lanciert.

Die IG Sport Aargau hat sich also einiges vorgenommen, um den Aargauer Sport zu unterstützen. Was wünschen Sie sich ganz per­sönlich für das Aargauer Sportjahr 2021?
Ich wünsche mir, dass wir es trotz den schwierigen Rahmenbedingungen schaffen, ganz viele Menschen für das Engagement in Sportvereinen und -verbänden zu begeistern.

Die IG Sport Aargau

1976 wurde die IASV (Interessengemeinschaft Aargauer Sportverbände) gegründet und 2018 zur IG Sport Aargau umbenannt. Mittlerweile zählt die Interessengemeinschaft 31 Mitglieder und setzt sich sportartenübergreifend für die Interessen der Aargauer Sportverbände gegenüber den Behörden und der Öffentlichkeit ein. Mit all ihren Tätigkeiten verfolgt die IG Sport Aargau das Ziel, optimale Bedingungen für den Aargauer Sport zu schaffen. Die Interessengemeinschaft wird von einem vierköpfigen Vorstand um Präsident Jörg Sennrich geleitet. Geschäftsführer ist Marco Meili.