World Wide Aargau

«Mehr als die Hälfte unserer Zeit kümmern wir uns ums Material»

von Fabio Baranzini – 15. Dezember 2022

Portraitbild Bobpilotin Melanie Hasler

Bild: Viesturs Lacis

Melanie Hasler gehört zur Weltspitze im Bobsport. In unserer Serie «World Wide Aargau» erzählt sie uns, wie man mit mehreren Schlitten um die Welt reist, weshalb sie eine gute Mechanikerin sein muss und welcher Trainingsaufwand hinter ihrer erfolgreichen Karriere steckt.

Melanie, du bist aktuell gerade in Lake Placid (USA). Wie lange bist du für diesen Trip im Ausland?
Wir haben zuerst drei Wochen in Kanada verbracht, dann eine Woche in Park City und jetzt zwei Wochen in Lake Placid. Nach diesen sechs Wochen geht’s zurück in die Schweiz. Lange werde ich aber nicht in der Schweiz bleiben, denn von den insgesamt 16 Wochen unserer Saison bin ich jeweils zwölf oder dreizehn im Ausland.

Wie viele Renneinsätze bestreitest du in einer Saison?
In dieser Saison sind 20 Renneinsätze geplant inklusive WM in St.Moritz.

In diesen Containern werden die Bobs verladen und transportiert

Bild: Melanie Hasler

Kanada, Amerika, Lettland – eure Rennen finden verteilt über den Globus statt. Wie funktioniert das Reisen mit mehreren Schlitten? Du hast ja zwei Schlitten für den 2er-Bob und einen Monobob. Mit so viel Material zu reisen, stelle ich mir mühsam vor.
Ja, das ist tatsächlich nicht ganz einfach. Zum Glück haben wir einen sehr guten Organisator vom Schweizerischen Bobverband, der den Materialtransport für uns organisiert. Unsere Schlitten werden jeweils in kleine Container verpackt und dann mit dem Flugzeug transportiert. Jeweils direkt nach einem Renntag wird der Schlitten bereit gemacht für den Transport an die nächste Destination. Am zweiten Renntag fahren wir mit dem zweiten Schlitten und machen diesen einen Tag später «reisebereit». Wenn wir dann selbst abreisen, kommen wir zumeist zeitgleich mit dem ersten Schlitten an der neuen Destination an.

Das klingt nach einer ziemlichen Organisations- und Logistik-Schlacht. Ist da noch nie etwas schiefgelaufen?
In Kanada sind unsere Schlitten tatsächlich drei Tage zu spät angekommen. So konnte ich vor dem Rennen nur ein einziges Training bestreiten – und das ausgerechnet auf der schnellsten Bahn der Welt. Das war etwas unglücklich. Aber das war das bisher einzige Mal, dass so etwas passiert ist. Ansonsten klappt immer alles.

«Ich muss mir 20 Fahrkombinationen einprägen und zwar so gut, dass ich sie bei Geschwindigkeiten von bis zu 150 Kilometern pro Stunde abrufen kann.»

Melanie Hasler, Bobpilotin

Du hast die Trainings vor einem Rennen angesprochen. Wie sieht der Ablauf einer Rennwoche bei dir aus?
Wir treffen meist am Montag am Wettkampfort ein. An diesem Tag wird nicht trainiert, sondern es geht darum, sich an den neuen Ort zu gewöhnen und das Material vorzubereiten. Wir holen also den Schlitten aus dem Container, bauen ihn zusammen und stellen ihn für die neue Bahn ein. Dienstag und Donnerstag stehen die beiden einzigen Bahntrainings auf dem Plan. Pro Tag machen wir da drei Fahrten.

Drei Fahrten – das klingt nach wenig.
Das ist in der Tat sehr wenig, vor allem wenn man neu dabei ist und jede Strecke kennenlernen muss. Aber es hat einen Grund: Eine Bobbahn hat jeweils 19 oder 20 Kurven und jede dieser Kurven hat einen eigenen Ablauf, wie ich sie fahren muss. Das heisst, ich muss mir 20 Fahrkombinationen einprägen und zwar so gut, dass ich sie bei Geschwindigkeiten von bis zu 150 Kilometern pro Stunde abrufen kann. Das ist mental mega anstrengend und auch die Kräfte, die während der Fahrt auf uns einwirken, sind eine grosse Belastung. Es macht also durchaus Sinn, dass wir «nur» drei Fahrten pro Tag haben. Vor allem weil eine Fahrt inklusive detaillierter Nachbesprechung und Videoanalyse mit den Trainern rund eine Stunde dauert.

Bobpilotin Melanie Hasler besichtigt die Bahn

Bild: zur Verfügung gestellt

Zurück zum Ablauf einer Rennwoche. Es gibt in der Vorbereitung also zwei Trainingstage auf der Bahn und einen freien Tag, bei dem du dich in erster Linie ums Material kümmerst.
Genau, zwischen den beiden Trainingstagen gibt es aber noch einen zweiten freien Tag, den wir für Athletiktraining nutzen. Nach diesen insgesamt vier Tagen stehen die beiden Renntage auf dem Programm.

Im Bobsport spielt das Material eine grosse Rolle. Hast du da ein Team von Mechanikerinnen und Mechanikern, die sich darum kümmern?
Schön wärs (lacht). Jede Pilotin ist für ihr Material zuständig. Wir haben einen Mechaniker dabei, der uns helfen kann, wenn wir Fragen haben. Aber ansonsten kümmern wir uns selbst darum.

Bobteam Hasler bei der Vorbereitung am Schlitten

Bild: Melanie Hasler

Was heisst das?
Wenn wir an einem neuen Ort ankommen, müssen wir den Schlitten zuerst zusammenbauen und für die neue Strecke vorbereiten. Das dauert pro Schlitten in etwa zwei Stunden. Noch länger dauert es, wenn der Schlitten geputzt und gefettet werden muss. Der zweite aufwändige Teil ist die Wettkampfvorbereitung. Vor jedem Rennen werden die Kufen geschliffen und poliert und der gesamte Schlitten wird noch einmal kontrolliert, damit alles perfekt ist. Das dauert pro Schlitten sicher zwei Stunden. Mehr als die Hälfte unserer Zeit kümmern wir uns also ums Material.

Wenn du in der Schweiz bist – wo hast du deine Trainingsbasis?
Ich trainiere oft in Kerenzerberg im Kanton Glarus, wo wir eine Trainingsanlage für den Start haben. Da wir dort auch Krafttrainings absolvieren können, finden auch unsere Trainingslager jeweils dort statt. Ansonsten trainiere ich sehr viel bei mir Zuhause. Ich kann in Widen das Material des Leichtathletikvereins nutzen und mich so jeweils auf die neue Saison vorbereiten. Das ist sehr cool.

Wie sieht denn eine normale Trainingswoche bei dir aus?
Ich absolviere die meisten meiner Trainings alleine, da meine Anschieberinnen über die ganze Schweiz verteilt wohnen. Jede von uns hat ihren Trainingsplan und bereitet sich so auf die Saison und die gemeinsamen Trainings vor. Pro Woche trainiere ich etwa 14 bis 20 Stunden, wobei ich sehr viele Sprint, Kraft- und Anschiebetrainings absolviere.

Bobpilotin Melanie Hasler im Sommertraining

Bild: zur Verfügung gestellt

Als wir vor einem Jahr das letzte Mal miteinander gesprochen hatten, hast du neben dem Sport noch 40 Prozent gearbeitet und jeweils während der Saison unbezahlten Urlaub bezogen. Ist das noch immer so?
Nein, seit August bin ich Zeitmilitär und somit zu 50 Prozent bei der Armee angestellt. Das ist ein Mega-Privileg für mich, denn so muss ich nicht mehr arbeiten und auch keinen unbezahlten Urlaub mehr nehmen. Das vereinfacht für mich sehr viel. Ich habe so auch mehr Zeit für die Regeneration, sowie für die Organisation und das Management meines Bobteams.

Was fällt da alles an?
Während der Saison übernimmt der Verband praktisch alle organisatorischen und administrativen Arbeiten. In der Vorbereitung bin ich aber für die Organisation der Übernachtung und Verpflegung zuständig. Zudem liegt auch die Einsatzplanung, wann ich mit welcher Anschieberin unterwegs bin, bei mir. Und ich bin auch für das Sponsoring verantwortlich. Ohne das ginge es nicht. Eine Bobsaison kann gut und gerne 40’000 Franken kosten und da sind die Aufwände für den Kauf eines Schlittens noch nicht eingerechnet. Ein Zweierbob kostet etwa 60’000 Franken und ein Monobob 26’000 Franken. Diese kosten müssen die Teams selbst tragen.

Kannst du einen Teil der Kosten mit Hilfe von Preisgeldern abdecken?
Die Preisgelder machen leider nicht so viel aus. Das Preisgeld wird im Team aufgeteilt und was übrigbleibt, geht in die Teamkasse. Dieses Geld investieren wir dann wieder in neues Material.

 

Einblick ins Training auf der Anschiebebahn

Hinweis

In unserer neuen Serie «World Wide Aargau» stellen wir Athletinnen und Athleten aus dem Kanton Aargau vor, die ihre Sportart im Ausland ausüben oder im Ausland trainieren. Schick uns eine Mail an redaktion@aargauersport.ch wenn du jemanden kennst, den wir in dieser Rubrik vorstellen könnten.