Sportförderung

Melanie Hasler und Nicolas Gygax: Über Umwege nach Peking

von Lea Marti – 5. Februar 2022

Portrait von Nicolas Gygax und Melanie Hasler

Bild: Swiss Ski / Instagram Melanie Hasler

Von der Volleyballerin zur Bobfahrerin und vom Kunstturner zum Skiakrobaten – Talenttransfer heisst die sportpolitische Bezeichnung für jenen «Umweg», den Melanie Hasler und Nicolas Gygax auf ihrem Weg an die Olympischen Winterspiele in Peking genommen haben.

«Mein erster Gedanke war: Das ist ein Witz», erzählt Melanie Hasler ihre erste Begegnung mit dem Bobsport. Das war im Sommer 2016, als sie in einer Sportschule und in der Nationalliga B als Volleyballerin aktiv war. Nachwuchs-Bobtrainer Christoph Langen wurde aufgrund ihrer aussergewöhnlichen Sprungkraft auf sie aufmerksam und nahm über ihren damaligen Volleyballtrainer Kontakt auf. «Nach einem Gespräch mit der deutschen Boblegende dachte ich mir dann aber: Warum nicht? Einen Versuch ist es wert!», denn neben dem verlockenden Gedanken, zukünftig an Olympischen Spielen teilnehmen zu können, verspürte sie gerade eine Art Volleyballmüdigkeit.

«Meine Kunstturnerfahrungen verschafften mir einen grossen akrobatischen Vorteil.»

Nicolas Gygax, Skiakrobat

Müde vom Drill, das war Nicolas Gygax, als er 14-jährig seine Kunstturnlaufbahn im regionalen Leistungszentrum beendete und in seinen Verein zurückkehrte, um spasseshalber noch etwas weiterzuturnen. «Der Vater eines Vereinskollegen war Ski-Aerial-Trainer und sah mich damals turnen. Er fragte, ob ich mein Können auf einer Wasserschanze ausprobieren wolle. Das hat mich als begeisterten Skifahrer gereizt und sofort sagte ich zu.»

Nicolas Gygax zu Gast im «aargauersport.ch»-Podcast

Der Wechsel in eine neue Sportart

In diesen Tagen trägt dieser «Umweg», der Wechsel von der einen zur anderen Sportart, Früchte, denn sowohl Bobpilotin Melanie Hasler wie auch Skiakrobat Nicolas Gygax konnten sich für die diesjährigen Olympischen Winterspiele in Peking qualifizieren. Während der Sportartenwechsel beim Aargauer Aerial-Athleten Zufall war, steckt hinter Melanie Haslers zweiter Sportkarriere Systematik. Oder in den Worten von Swiss Olympic gesprochen: ein klares Rahmenkonzept zur Sport- und Athletenentwicklung namens FTEM (Foundation, Talent, Elite, Mastery). «Talenttransfer ist eine Komponente davon und zielt darauf ab, Leistungssportlerinnen und -sportler in eine neue Sportart zu überführen. Diese Förderung greift dann, wenn Athletinnen und Athleten in der ursprünglich gewählten Sportart nicht mehr weiterkommen und sich in einer anderen Sportart neue Möglichkeiten eröffnen», so David Egli, Leiter Abteilung Sport bei Swiss Olympic.

Skiakrobat Nicolas Gxgax in Aktion

Bild: Christian Egelmair

Dabei ist Talenttransfer gerade für klassische Quereinsteiger-Sportarten, wie es beispielsweise der Bob ist, von grosser Wichtigkeit. «Entsprechend gibt es in der Schweiz zwischen den beiden Verbänden Swiss Athletics (Geberverband) und Swiss Sliding (Nehmerverband) eine systematisch verankerte Zusammenarbeit. Bei Schnuppertagen können Leichtathletinnen und Leichtathleten ihre ersten Ausflüge in den Bobsport wagen», erzählt David Egli weiter. Es ist das bisher am längsten funktionierende Projekt in der Schweiz, zu dem sich zukünftig noch weitere gesellen sollten, denn «nach wie vor basiert Talenttransfer meist auf Zufall oder Eigeninitiative. Zudem wird im Nachwuchsbereich viel Geld investiert, welches bei einer Karriere nach der Karriere doppelt genutzt werden kann.»

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Mit welchen Strategien? Sportarten, die auf Talenttransfer angewiesen sind, können sich auf der Website von Swiss Olympic präsentieren. Es seien auch Ideen da, indem zum Beispiel für Geberverbände finanzielle Anreize geschaffen würden. «Zudem unterstützt Swiss Olympic die Verbände beratend und koordinierend, Quereinstiege zu realisieren», so der Leiter Abteilung Sport bei Swiss Olympic.

Athleten als Vorbilder

«Daneben können Athletinnen und Athleten eine wichtige Vorbildfunktion ausüben und Nachwuchssportlerinnen und -sportler motivieren, sich in eineranderen Sportart zu versuchen», so David Egli. Nicolas Gygax und Melanie Hasler tun gerade das Ihrige. Ihr geglückter Talenttransfer basiert auf jenen zwei Schienen, die einen Sportartenwechsel begünstigen: erlernte Skills oder physische Kompetenzen. Nicolas Gygax: «Meine Kunstturnerfahrungen verschafften mir einen grossen akrobatischen Vorteil, und so ging alles relativ schnell. Heuer darf ich bereits an meine zweiten Olympischen Spiele reisen.»

Bobpilotin Melanie Hasler beim Start

Bild: zur Verfügung gestellt

Ebenso steil verlief die Wintersport-Karriere der ehemaligen Volleyballerin: «2017/2018 setzte ich voll auf den Bobsport, erst als Anschieberin, eine Saison später bereits als Bobpilotin.» 2021 beendete sie die Europacup-Gesamtwertung auf dem dritten Platz. Dass sie in dieser Saison nun auch die Qualifikation für die Olympi- schen Winterspiele mit Bravour bestanden hat, ist die logische Folge davon. Oder nicht? Melanie Hasler lacht: «Eigentlich hatte ich mir die Olympischen Spiele 2026 als Langzeitziel gesetzt.» Die Teilnahme wertet Hasler deswegen als Riesenerfolg. Was resultattechnisch dann in Peking rausschauen soll, möchte sie offenlassen: «Im Vordergrund steht sicherlich, erste Olympia-Erfahrungen zu sammeln.» Ambitionierter wird der Olympiaerprobte Nicolas Gygax in China antreten: «Die Qualifikation war eine Zwischenetappe. Nun will ich zeigen, wofür ich so hart trainiert habe.» Konkret heisst das: einen Platz unter den ersten zwölf zu erfliegen.

Und damit vielleicht auch gerade dem Talenttransfer noch weiter Aufschwung verleihen? David Egli schmunzelt: «Schön wäre es, denn sportliche Erfolgsgeschichten können unsere Bemühungen unterstützen.» Und wohin sollen diese noch gehen? «Ich wünsche mir, dass wir dereinst in der Schweiz mit Support der Geberverbände 10 bis 15 Sportarten haben werden, die systematisch einen Talenttransfer vorantreiben.»

Hinweis

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