World Wide Aargau
«Mit einer Waffe zu reisen, braucht sehr viel Geduld»
Bild: Enrico Friedeman
Chiara Leone (23) aus Frick ist die einzige Aargauer Schützin im Nationalkader. Seit letztem Jahr gehört sie zudem der Weltcup-Gruppe an und ist daher viel unterwegs. Im Rahmen unserer Serie «World Wide Aargau» gibt sie uns Einblicke in ihren Alltag als Profisportlerin.
Aktuell befindet sich Chiara Leone gerade in Rio de Janeiro. Dort verbringt sie knapp zwei Wochen und bestreitet insgesamt fünf Wettkämpfe im Weltcup. Als wir sie für das nachfolgende Interview erreicht hatten, war sie wenige Stunden zuvor aus Norwegen zurückgekehrt. Das Reisen ist also längst fester Bestandteil des Alltags von Chiara Leone geworden.
Chiara, du bist gerade von den Europameisterschaften in Norwegen zurückgekommen. Wie ist es gelaufen?
Für mich ist es mega gut gelaufen. Im Einzel hats zwar nicht nach Wunsch geklappt, aber im Mixed konnte ich gemeinsam mit Jan Lochbihler die Bronzemedaille gewinnen und mit dem Frauenteam belegten wir den guten fünften Rang.
Bild: Philipp Ammann
Für die EM warst du mit dem Nationalteam unterwegs. Wurde die Reise und die Unterkunft deswegen vom Verband organisiert oder musstest du da selbst aktiv werden?
Nein, das wurde glücklicherweise alles vom Verband organisiert. Als Athletin muss ich da gar nichts machen. Das ist sehr angenehm.
Ist das bei all deinen Wettkämpfen so?
Ja, das ist immer so. Für alle Wettkämpfe, die ich im Ausland bestreite, organisiert Swiss Shooting die Reise und die Unterkunft und bezahlt diese auch. Zusätzlich zu den Reisekosten bezahlt der Verband für mich auch eine Wohnung in Biel, die ich mir mit zwei weiteren Mitgliedern des Nationalkaders teile. Das ist Bestandteil meiner 50-Prozent-Anstellung, die ich bei Swiss Shooting als Athletin habe. So kann ich während der Woche im nationalen Leistungszentrum trainieren.
«Wir haben in diesem Jahr Wettkämpfe in China, in Korea, in Kairo, in Aserbaidschan oder in Brasilien.»
Wie viele Wettkämpfe bestreitest du in etwa pro Jahr?
Seit ich in der Weltcup-Gruppe bin, ist klar, dass ich an allen Weltcups teilnehmen darf. Das sind in diesem Jahr voraussichtlich vier. Hinzu kommen – wenn meine Resultate stimmen – zwei Europameisterschaften, die Universiade und die Weltmeisterschaften. Für diese Wettkämpfe reisen wir quer durch die Welt. Wir haben in diesem Jahr Wettkämpfe in China, in Korea, in Kairo, in Aserbaidschan oder eben in Brasilien.
Das Reisen ist also definitiv ein wichtiger Bestandteil deines Profi-Alltags. Ist das etwas, das dir gefällt?
Ja, das Reisen gefällt mir. Wir erleben sehr viel und es gibt praktisch nach jeder Reise eine gute Story zu erzählen. Allerdings kann das Reisen mit einer Waffe durchaus auch ziemlich mühsam werden. Denn an jedem Flughafen müssen die Waffen kontrolliert werden. Die Bestimmungen dafür sind aber in jedem Land anders. Es kann gut sein, dass wir nach einem siebenstündigen Flug nochmals sieben Stunden am Flughafen warten, bis die richtige Person unsere Waffen kontrolliert hat und wir weiterreisen dürfen. Mit einer Waffe zu reisen, braucht sehr viel Geduld.
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Nimm uns doch mal mit an einen solchen Weltcup-Wettkampf. Wie geht das zu und her?
Die Weltcups sind jeweils ziemlich grosse Veranstaltungen. Da nehmen Schützinnen und Schützen aus 60 bis 70 verschiedenen Ländern teil, wobei in jeder Kategorie rund 100 bis 120 Personen antreten. Wir verbringen für einen Weltcup meist etwa zehn Tage am selben Ort und bestreiten in dieser Zeit insgesamt sechs Wettkämpfe. In meinem Fall sind das das Dreistellungsmatch über 50m mit dem Kleinkaliber und die 10m Luftgewehr stehend. In beiden Kategorien trete ich jeweils in der Einzelkategorie, im Mixedwettkampf und im Frauenteam an. Die Wettkampftage sind ziemlich intensiv, so dass kaum Zeit bleibt für anderes. Nach dem Wettkampf reisen wir dann direkt wieder zurück in die Schweiz.
Auf Instagram habe ich gesehen, dass du auch in der Deutschen Bundesliga aktiv bist. Wie funktioniert die Bundesliga im Schiesssport und weshalb nimmst du daran teil?
Die Bundesliga ist eine sehr gut besetzte Liga. Jeder Verein darf dabei eine ausländische Schützin oder einen ausländischen Schützen verpflichten zur Verstärkung des Teams. Ich trete für den SV Wieckenberg an und habe dort meine erste Saison in der 1. Bundesliga bestritten. Das ist sehr cool, denn die Wettkämpfe finden im 1:1-Duellformat statt. Das ist ein spannender Modus, an dem ich gerne teilnehme, um mir die nötige Wettkampfhärte zu holen. Und als schönen Nebeneffekt gibt es auch eine kleine finanzielle Entschädigung.
Bild: zur Verfügung gestellt
Du hast vorhin gesagt, dass du in einem 50-Prozent-Pensum bei Swiss Shooting als Athletin angestellt bist. Kannst du deine Profikarriere mit dieser Teilzeitanstellung und deinem Preisgeld finanzieren?
Nein, das reicht nicht. Ich erhalte noch weitere Unterstützung von der Schweizer Armee, wo ich die Spitzensport-RS absolviert hatte. Zusätzlich benötige ich aber auch noch private Sponsoren, damit ich die Kosten von rund 20’000 bis 25’000 Franken, die ich jedes Jahr selbst aufbringen muss, bezahlen kann. Der Hauptteil dieser Kosten wird durch die Munition und das weitere Material verursacht. Wir haben aufgrund der vielen Trainings einen sehr hohen Materialverschleiss.
Bleiben wir doch gleich beim Training. Du wohnst während der Woche in Biel und trainierst dort im nationalen Leistungszentrum. Wie sieht bei dir eine Trainingswoche aus?
Wir trainieren jeden Morgen drei bis vier Stunden im Schiessstand. Bei diesen Einheiten steht die Technik im Vordergrund. Insgesamt verbringe ich wohl etwa 20 Stunden pro Woche im Schiessstand. Etwa sieben Stunden investiere ich in die Fitness und dann arbeite ich noch intensiv im mentalen Bereich. Das ist fürs Schiessen extrem wichtig. Und zu guter Letzt darf auch die Regeneration nicht fehlen. Dafür habe ich vor allem seit letztem September endlich genügend Zeit. Damals habe ich mich nämlich entschieden, mein Studium zu unterbrechen, um mich als Profi voll und ganz auf den Schiesssport zu konzentrieren.
Hinweis
In unserer neuen Serie «World Wide Aargau» stellen wir Athletinnen und Athleten aus dem Kanton Aargau vor, die ihre Sportart im Ausland ausüben oder im Ausland trainieren. Schick uns eine Mail an redaktion@aargauersport.ch wenn du jemanden kennst, den wir in dieser Rubrik vorstellen könnten.