Im Fokus

«Sprint ist viel mehr, als ein paar Sekunden rennen»

von Fabio Baranzini – 30. Juli 2020

Sprinter Silvan Wicki jubelt nach einem Sieg

Bild: BTV Aarau Athletics

In unserer Rubrik «Im Fokus» stellen wir einmal im Monat einen Sportler oder eine Sportlerin aus dem Kanton Aargau vor, die mit ihren Leistungen für Aufsehen gesorgt hat. Diesmal ist es Silvan Wicki, Sprinter des BTV Aarau Athletics, der über 100m und 200m für Furore sorgt. 

Im Moment läuft Silvan Wicki schnell. Sehr schnell sogar. In Europa ist in dieser Saison bislang keiner schneller gelaufen über die 100m und die 200m. Natürlich haben noch nicht alle Athleten der absoluten Weltspitze einen Wettkampf bestritten in dieser von Corona durcheinander gewirbelten Saison. Aber trotzdem: Die Zeiten von Silvan Wicki lassen aufhorchen.  

In 10.11 Sekunden ist vor wenigen Tagen die 100m gelaufen. Mit seiner neuen persönlichen Bestzeit hat er den Schweizer Rekord von Alex Wilson gehörig ins Wanken gebracht. Nur gerade drei Hundertstel haben gefehlt. Grund genug, den aktuell schnellsten Mann Europas, der für den BTV Aarau Athletics startet, genauer vorzustellen.  

Der Körper hat die Entscheidung abgenommen 

Silvan Wickis definitive Entscheidung, auf die Karte «Sprint» zu setzen, ist verhältnissmässig spät gefallen. Erst mit 17 Jahren. Vorher stand auch Hochsprung zur Wahl. «Doch in der Pubertät habe ich dann an Muskeln zugelegt und bin entsprechend schwerer geworden», blickt Wicki zurück. «So hat mir quasi mein Körper die Entscheidung abgenommen. Denn unter den neuen Voraussetzungen war Hochsprung keine Option mehr.» 

«Sprinten ist eigentlich mega banal. Aber es steckt unglaublich viel dahinter.»

Silvan Wicki, Sprinter BTV Aarau Athletics

So also wurde Wicki Sprinter. Auch wenn ihm der Entscheid damals abgenommen wurde, ist der 25-Jährige überzeugt, dass es genauso kommen musste. «Sprinter wird man nicht. Sprinter ist man oder man ist es nicht. Für mich ist Sprint viel mehr, als nur ein paar Sekunden rennen. Für mich ist es eine Lebensphilosophie. Über den Sprint kann ich meine Persönlichkeit ausdrücken und mich verwirklichen», beschreibt Wicki. Die Geschwindigkeit, die Explosivität und der Adrenalinkick – das ist es, was es Silvan Wicki angetan hat. «Sprinten ist eigentlich mega banal. Aber es steckt unglaublich viel dahinter.» 

Muskelmasse zugelegt, Technik verfeinert 

Und genau daran arbeitet Silvan Wicki minutiös. An den kleinen Dingen «dahinter». Dafür trainiert er unter anderem mit Patrick Saile. Wegen ihm ist er im Jahr 2017 auch nach Aarau gekommen. Mittlerweile arbeiten die beiden regelmässig in München, wo Saile als Sprinttrainer tätig ist. «Mit ihm habe ich zuerst sehr intensiv im Kraftbereich gearbeitet. Jetzt bin ich in punkto Kraft auf dem Level, das ich haben muss. Nun geht es darum, meinen Laufstil so effizient wie möglich zu machen. Denn wenn die Kraftübertragung auf den Boden nicht stimmt, bringt mir auch die ganze Kraft nichts», sagt Wicki.  

Im Moment scheint das optimal zu funktionieren. Das ist aber alles andere als selbstverständlich. Denn im letzten Sommer wurde Silvan Wicki abrupt gestoppt. Im Juli konnte er plötzlich nicht mehr seine volle Leistung abrufen. «Nach dem dritten oder vierten Wettkampf, der nicht so lief, wie ich mir das vorstellte, machten wir einen Bluttest.» Und der zeigte: Silvan Wicki litt am Pfeifferschen Drüsenfieber. Zweieinhalb Monate verzichtete er komplett auf jegliche Trainings. Erst im Oktober begann er wieder, ganz leicht zu trainieren. Im Dezember schraubte er sein Trainingsvolumen auf das gewohnte Level hoch.  

An der Hallen-SM platzt der Knoten 

«Das waren sehr schwierige Wochen. Du weisst nicht so richtig, woran du bist. Bei einigen geht das Virus in wenigen Wochen vorbei. Andere müssen deswegen gar ihre Karriere beenden», so Wicki. Für ihn war aber immer klar, dass er zurückkehren wird. «Ich habe ein Grundvertrauen in mich und meinen Körper. Diese mentale Stärke hat mir geholfen, positiv zu bleiben.»  

Das war auch nötig, denn die ersten Wettkämpfe in der Hallensaison verliefen überhaupt nicht nach dem Geschmack von Silvan Wicki. Doch plötzlich klappt es wieder. Ausgerechnet an den Hallen Schweizer Meisterschaften lief er über 60 Meter eine neue persönliche Bestzeit. Aus dem Nichts. «Eine Woche vorher gelang überhaupt nichts und dann das. Seit dem Moment weiss ich, dass ich wieder gesund bin und Vollgas geben kann.» 

Die unfreiwillige Pause hat geholfen 

Das macht Silvan Wicki im wahrsten Sinne des Wortes. Als nächstes steht er am Freitagabend beim Aarauer Abendmeeting im Schachen im Einsatz. Das grosse Ziel für diese Saison bleiben aber die Schweizer Meisterschaften in Basel im September. Doch was ist denn jetzt eigentlich das Erfolgsrezept, das hinter der aktuellen Topform von Silvan Wicki steckt? So ganz genau kann er die Frage selber nicht beantworten. Ein möglicher Grund liegt aber ironischerweise ausgerechnet in der unfreiwilligen Pause im letzten Herbst.  

«Diese Pause hat mir echt gutgetan. Ich konnte endlich wieder richtig Energie tanken und mein Körper konnte sich von den vielen kleinen Blessuren erholen. Deshalb konnte ich bis jetzt ohne Beschwerden durchtrainieren. Etwas, das ich in meiner Karriere kaum einmal geschafft habe. Entsprechend war für mich klar, dass mit dieser guten Vorbereitung automatisch auch schnellere Zeiten möglich sein werden.» Wie schnell diese Zeiten in Zukunft noch werden, kann niemand voraussagen. Auch Silvan Wicki nicht. Aber dem Traum von einer Zeit unter der magischen Grenze von 10 Sekunden, ist er in dieser Saison ein Stück nähergekommen.  

Sprinter Silvan Wicki beim Zieldurchlauf

Bild: BTV Aarau Athletics

Hinweis

In unserer Rubrik «Im Fokus» stellen wir einmal im Monat einen Sportler oder eine Sportlerin aus dem Kanton Aargau vor, die mit ihren Leistungen für Aufsehen gesorgt hat. Alle bisherigen Portraits findest du hier.