Über den Tellerrand
Technik, Material und Konzentration – das ist Eisstockschiessen
Bild: Zur Verfügung gestellt / Martin Caspar
In unserer Serie «Über den Tellerrand» stellen wir euch Sportarten und Sportler vor, die im Kanton Aargau betrieben werden oder aktiv sind, aber in der breiten Öffentlichkeit wenig Beachtung finden. Diesmal stellen wir euch das Eisstockschiessen vor.
Martin Caspar gehört zu den besten Eisstockschützen der Welt. Der amtierende Schweizer Meister ist Mitglied der Nationalmannschaft und hat vor zwei Jahren an der WM eine kleine Sensation geschafft: Er gewann die Bronzemedaille im Einzelwettkampf. «Dass ein Schweizer in der Einzelkonkurrenz ‘reinfunkt’ und eine Medaille gewinnt, ist schon sehr ungewöhnlich. Normalerweise gewinnen Österreich, Deutschland und ganz selten Italien eine Medaille», sagt Martin Caspar.
Warum das so ist, zeigt ein Blick auf die Statistik: In Österreich gibt es 114’000 lizenzierte Spielerinnen und Spieler. In Deutschland sind es rund 40’000 und in Italien 1’500. Zum Vergleich: In der Schweiz gibt es gerade mal 200 lizenzierte Eisstockschützen – Frauen, Männer und Nachwuchs zusammengezählt. In Anbetracht dieser Zahlen ist die WM-Bronzemedaille von Martin Caspar noch höher einzustufen. Logisch, dass der gebürtige Bündner, der seit 2012 für den Aarauer Eisstock Club (AEC) spielt und in Niederlenz wohnt, diese Medaille als «grössten Erfolg seiner Karriere» bezeichnet.
«Man benötigt eine saubere Technik, das richtige Material und eine hohe Konzentrationsfähigkeit.»
Die Grundregeln
Doch wie funktioniert Eisstockschiessen überhaupt? Die Sportart ist vergleichbar mit Curling oder Boccia. Das Ziel besteht darin, den Eisstock so präzise zu schiessen, dass er möglichst nahe bei der «Daube» – einem Puck aus Gummi – zum Stehen kommt. Gespielt wird entweder in 4er-Teams oder alleine. Die Teams bestreiten das sogenannte Mannschaftsspiel, wobei jedes Teammitglied pro Durchgang einen Stock schiessen darf. Das Team, das mit seinen Stöcken näher an der Daube liegt, bekommt mehr Punkte. Pro Begegnung werden sechs Durchgänge gespielt.
Im Einzelspiel gibt es zwei Formen: den Zielwettbewerb und den Weitenwettbewerb. Letzterer ist einfach erklärt: Es geht darum, den Eisstock so weit wie möglich zu schiessen. Der Weltrekord liegt bei 566 Meter. Beim Zielwettbewerb absolvieren die Teilnehmer jeweils zwei Durchgänge à vier Bahnen. Auf jeder Bahn – vergleichbar mit einer Bahn beim Curling – gilt es eine andere Aufgabe zu meistern. Mal muss eine Zielscheibe getroffen werden, mal müssen Eisstöcke aus dem Weg geräumt oder in einer bestimmten Reihenfolge getroffen werden. Entscheidend ist bei jeder Aufgabe die Präzision. Je präziser die Würfe, desto mehr Punkte gibt es.
Drei Komponenten sind entscheidend
Klingt eigentlich ganz einfach. Doch es steckt einiges mehr hinter dieser Sportart. Und wer kann uns das besser erklären als Martin Caspar, der für seine WM-Medaille während einem Jahr fünf Trainingseinheiten pro Woche absolviert hat, um mit der internationalen Spitze mithalten zu können. Also Martin – was braucht es, um im Eisstockschiessen erfolgreich zu sein? «Man benötigt eine saubere Technik, das richtige Material und eine hohe Konzentrationsfähigkeit», sagt Martin Caspar. Schauen wir uns diese drei Elemente also etwas genauer an.
So funktioniert Eisstockschiessen
Die Technik
Beim Eisstockschiessen wird der Eisstock mit einem elegant aussehenden Wurf übers Eis geschickt. Die Distanz, die dabei von der Abwurfzone bis in die Zielzone überwunden werden muss, beträgt 25 bis 30 Meter. Das Ziel ist aber jeweils nur wenige Zentimeter gross. «Entscheidend ist daher, dass ich den exakt gleichen Wurf mehrmals hintereinander wiederholen kann. Dafür brauchts eine saubere Technik, die Kraft ist dagegen nicht massgebend», so Martin Caspar.
Das Material
Ein Eisstock sieht vereinfacht gesagt aus, wie ein Curlingstein mit einem langen Stil. Der Körper – so wird der «Stein» korrekt bezeichnet – wiegt zwischen 3,7 und 3,9 Kilogramm. Insgesamt wiegt der Eisstock rund 5 Kilogramm. «Jeder Spieler kann hier seine eigene Feinabstimmung treffen. Genauso beim Stil. Dort ist der Schwerpunkt vorgegeben, die Griffform kann aber jeder individuell wählen», erklärt Caspar. Das dritte und wohl wichtigste Element des Eisstocks ist die Platte unterhalb des Körpers. Denn auf dieser Fläche schlittert der Eisstock übers Eis. «Je weicher die Platte, desto langsamer der Eisstock», sagt Caspar. «Es gibt ganz viele verschiedene Platten. Mit der schnellsten Platte komme ich auf eine Distanz von 90 Meter. Mit dem gleichen Wurf aber der langsamsten Platte sind es noch 25 Meter.»
Die Konzentration
Wer im Eisstockschiessen erfolgreich sein will, braucht eine gute Konzentration. Egal in welcher Disziplin er antritt. Besonders augenfällig wird dies beim Zielwettbewerb. Denn dort werden innerhalb von rund 45 Minuten 48 Schüsse abgegeben. Und jeder einzelne zählt für die Wertung. «Da muss man die Konzentration schon sehr lange hochhalten können», sagt Caspar.
Bild: Zur Verfügung gestellt / Martin Caspar
Vom Eis auf den Asphalt
Im Kanton Aargau ist der Aarauer Eisstock Club (AEC) der einzige Verein. Doch seit gut zwei Jahren können die 20 Mitglieder nicht mehr auf dem Eis trainieren. Seit den eigeschränkten Öffnungszeiten wegen des «Keba-Debakels» in Aarau bekommen die Eisstockschützen keine Eisfläche mehr auf den Aussenfeldern der Keba. Und in der Halle ist die Auslastung zu hoch, respektive die finanziellen Möglichkeiten des AEC zu klein. Martin Caspar muss daher ausweichen. «Ich trainiere nun zwei Mal pro Woche in Zollikon, wo wir ideale Bedingungen haben, um auf dem Eis zu trainieren», sagt Caspar.
Da die Eisflächen nicht nur in Aarau knapp und teuer sind, ist derzeit im Eisstockschiessen weltweit ein Trend vom Eis in Richtung Asphalt und Beton zu beobachten. Denn mit einer Kunststoff- statt einer Gummi-Platte unter dem Eisstock kann die Sportart auch abseits des Eises gespielt werden. «Das ist natürlich insbesondere aus Kostengründen sehr interessant. Bei unseren Nachbarn in Deutschland und Österreich liegt das schon voll im Trend. In Österreich gibt es gar schon extra Hallen fürs Eisstockschiessen – ohne Eis», so Martin Caspar.
Hinweis
Weitere spannende Beiträge aus unserer Rubrik «Über den Tellerrand», in der wir unbekannte Sportarten vorstellen, die im Kanton Aargau ausgeübt werden, findest du hier.