World Wide Aargau
«Zum ersten Mal seit 15 Jahren habe ich wieder freie Abende»

Bild: SC Freiburg
Die Aargauer Fussball Nationalspielerin Julia Stierli (27) aus Muri hat im letzten Sommer den Wechsel in die Bundesliga zum SC Freiburg gewagt. Wie ihr neues Leben als Fussballprofi aussieht und wie sie sich in Deutschland eingelebt hat, erzählt uns die Abwehrspielerin in der neusten Ausgabe unserer Serie «World Wide Aargau».
Julia, du hast im Sommer nach zehn Jahren beim FC Zürich, wo du fünf Doubles gewonnen hast, zum SC Freiburg in die 1. Bundesliga gewechselt. Wie hast du dich eingelebt?
Ich bin sehr gut angekommen und habe mich super eingelebt. Aber das ist auch nicht so schwierig. Freiburg ist der Schweiz relativ ähnlich. Da gäbe es geografisch und kulturell weiter entfernte Orte. Aber klar, es ist trotzdem ein neues Umfeld, ein neuer Verein und eine neue Stadt.
Hast du deine eigene Wohnung in Freiburg?
Ja, ich habe eine eigene kleine Wohnung, die vergleichbar ist mit jener, die ich zuvor in Zürich hatte. Der Verein hat mir geholfen, die Wohnung zu organisieren und steht mir auch sonst immer zur Seite, wenn ich eine Frage habe. Ich bin aber eigentlich eine Person, die sich gerne selbst informiert und sich selbst zurechtfindet. Und für den Fall der Fälle kann ich auch immer die beiden Schweizerinnen Svenja Fölmli und Leela Egli fragen, die schon länger im Verein spielen.
Wie gefällt dir dein neuer Wohnort?
Ich schätze es sehr, dass Freiburg im Vergleich zu Zürich vom Vibe her deutlich familiärer und übersichtlicher ist. Es hat eine mega schöne Altstadt, in der ich alles finde, was ich brauche. Ich bin aber auch schnell in der Natur. Das ist für mich als Naturmensch sehr wichtig. In fünf Minuten bin in zu Fuss im Wald.

Bild: SC Freiburg
Kehrst du trotzdem noch ab und zu in die Schweiz zurück?
Das ist natürlich etwas abhängig vom Trainingsplan, den Matches und den Einsätzen für die Nati. Aber ich würde sagen, dass ich so alle sechs Wochen einmal in der Schweiz bin. Da Freiburg aber nicht so weit weg ist, bekomme ich immer mal wieder Besuch. Gerade meine Eltern besuchen viele Heimspiele.
Sportlich läuft es euch auch gut. Ihr steht aktuell auf Rang fünf in der Tabelle und du hast 15 von 17 Spielen bestritten. Du bist also gut angekommen in der Bundesliga.
Das kann man definitiv sagen. Aus sportlicher Sicht war es für mich der perfekte Start. Ich habe bei meinem Wechsel natürlich ein Team ausgesucht, bei dem ich es als realistisch erachtete, viele Einsatzminuten zu sammeln. Aber eine Garantie gibt es nie. Ich muss mich jeden Tag neu beweisen und dass ich jetzt so konstant zum Einsatz gekommen bin, freut mich natürlich sehr. Darf ich noch kurz was zu den beiden Spielen sagen, die ich verpasst habe?
Ja klar.
Die habe ich verpasst, weil ich eine Rotsperre absitzen musste – zum ersten Mal in meiner Karriere (lacht).
Bist du auch #aargauersport?
Egal ob Sportlerin, Trainer, Schiedsrichterin, Funktionär, Vorstandsmitglied, Organisator oder leidenschaftlicher Fan – erzähl uns deine Geschichte!
Du hast es vorhin gesagt, dass es keine Garantie auf Spielzeit gibt. Vor allem nicht, wenn man wie du neu zu einem Team stösst. Wie hast du die Angewöhnungszeit in Freiburg erlebt? Du warst ja vorher zehn Jahre lang im selben Team und musstest daher diesen Prozess lange nicht mehr durchlaufen.
Ich brauchte am Anfang sicher etwas Zeit. Ich bin kein sehr extrovertierter Mensch und benötige daher eher etwas länger, bis ich mich komplett wohlfühle und ins Team einbringen kann. Diese Zeit habe ich mir bewusst genommen und das hat auch ganz gut geklappt. Die viel grössere Umstellung war, dass ich in Freiburg zum ersten Mal in meiner Karriere nur Fussball spiele.
Das heisst?
Beim FCZ hatte ich parallel zum Fussball mein Studium als Physiotherapeutin abgeschlossen. Die Trainings fandenfast ausschliesslich am Abend statt und mir blieb in diesem Setting eigentlich kaum eine freie Minute. Hier in Freiburg sieht das anders aus.
Wie dürfen wir uns denn deinen Alltag als Fussballprofi in Deutschland vorstellen?
Als Profibetrieb trainieren wir anders als in der Schweiz tagsüber. Normalerweise trainieren wir einmal am Morgen, essen dann auf der Anlage und trainieren am Nachmittag noch ein zweites Mal. So circa um halb sechs bin ich wieder zuhause. So habe ich viel mehr Zeit für individuelle Zusatztrainings, Krafteinheiten, Regeneration oder Videoanalysen. Das finde ich cool und das war genau das, was ich gesucht habe. Zum ersten Mal seit 15 Jahren habe ich hier in Freiburg wieder freie Abende. Das ist toll.

Bild: Keystone
Wie nutzt du diese neu gewonnene freie Zeit?
Ich lese Bücher, gehe regelmässig «käfele» und ich habe begonnen, E-Piano zu spielen, obwohl ich ein komplett unmusikalischer Mensch bin (lacht). Es bleibt also wirklich genügend Zeit, um neben dem Fussball das Leben auch geniessen zu können. Das ist für mich im Moment eine super Situation.
Welches sind aus sportlicher Sicht die grössten Unterschiede zur Schweiz und deiner Zeit beim FCZ?
Das Spielniveau in Freiburg ist deutlich besser. Das merkt man in jedem Training und jedem Spiel. Das Tempo ist höher und es wird taktisch besser gespielt. Zudem ist auch die Professionalisierung im Verein und bei der Infrastruktur höher. Wir haben ein eigenes Stadion, wo wir trainieren können, wo wir einen Kraftraum und Physiotherapie haben und wo wir auch unsere Heimspiele bestreiten. Und man merkt natürlich auch, dass praktisch das gesamte Team aus Vollprofis besteht. Aber nicht falsch verstehen, auch wenn wir Profis sind, werden wir nicht reich.
Aber es reicht zum Leben?
Ja definitiv.
Würde es auch in der Schweiz reichen?
Sagen wir es so: Es würde auch in der Schweiz reichen, aber in Zürich müsste ich sicher gut aufs Geld schauen (lacht).
«Ganz ehrlich: Mein Traum war es, im Fussball erfolgreich zu sein. «Nur» Fussball zu spielen, war nie mein Traum.»
War es dein Traum, vom Fussball leben zu können?
Ganz ehrlich: Mein Traum war es, im Fussball erfolgreich zu sein. «Nur» Fussball zu spielen, war nie mein Traum. Ich hatte sogar etwas Respekt davor. Ich habe mein Physiotherapiestudium gemacht, weil ich mega Freude daran habe und dieser Ausgleich für mich sehr wichtig war. Ich freue mich auch jetzt schon darauf, später als Physiotherapeutin zu arbeiten. Aber für den Moment ist es eine tolle Erfahrung, nur Fussball spielen zu dürfen.
Wie steht es eigentlich um den Stellenwert des Frauenfussballs in Deutschland im Vergleich zur Schweiz?
Es ist schwierig, das allgemein zu beurteilen. In Freiburg haben wir eine coole Fankultur. Unser Zuschauerschnitt liegt etwa bei 2500 Zuschauern pro Heimspiel – das ist natürlich etwas ganz anderes als in der Schweiz. Auch medial ist alles etwas grösser in Deutschland. Wobei ich sagen muss, dass das mediale Interesse aus der Schweiz im vergangenenJahr aufgrund der Heim EM merklich gestiegen ist.
Sprechen wir doch zum Schluss noch kurz über die Heim EM – wie präsent ist das Turnier bei dir bereits?
Die EM ist mein grosses Ziel und es wäre ein Traum, dabei zu sein. Mir ist aber auch klar, dass Fussball sehr schnelllebig ist. Es kann viel passieren – eine Verletzung oder ein Formtief. Daher versuche ich ganz bewusst, nicht jeden Tag an die EM zu denken. Mein Fokus liegt auf dem Training und den Spielen mit dem SC Freiburg. Wir werden alles dafür tun, unseren fünften Tabellenrang bis zum Saisonende zu verteidigen. Danach rückt die EM definitiv in den Fokus.
Hinweis
In unserer neuen Serie «World Wide Aargau» stellen wir Athletinnen und Athleten aus dem Kanton Aargau vor, die ihre Sportart im Ausland ausüben oder im Ausland trainieren. Schick uns eine Mail an redaktion@aargauersport.ch wenn du jemanden kennst, den wir in dieser Rubrik vorstellen könnten.