Sport und Ausbildung

«Das Wasser steht teilweise bis zum Hals und der Druck ist enorm»

von Fabio Baranzini – 13. Dezember 2021

Unihockeyspielerin Leonie Wieland in Aktion

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Im zweiten Teil unserer Serie zur Vereinbarkeit von Lehre und Leistungssport haben wir mit zwei Lernenden gesprochen: Unihockeyspielerin Leonie Wieland (19, Menziken) und Kickboxer Roy Cipriano (19, Wohlen) haben uns von ihren Erfahrungen in der Lehre erzählt.

Leonie Wieland hat schon im Alter von fünf Jahren begonnen, Unihockey zu spielen. «Damals war das bei uns im Dorf ein richtiger Trend», erinnert sich die Menzikerin, die beim UHC Lok Reinach das Unihockey-ABC erlernt hat. Als sie 15 Jahre alt war, schickte ihr Vereinscoach sie ins Sichtungstraining für die U17-Nationalmannschaft. «Ich ging ohne grosse Erwartungen. Das Training war eher als Standortbestimmung gedacht», erzählt Leonie Wieland.

Doch sie überzeugte die Coaches und schaffte den Sprung in die U17-Nati. Damit änderte sich einiges. Denn plötzlich musste Leonie Wieland bei einem Spitzenteam trainieren, um sich weiter verbessern zu können. Ihre Wahl fiel auf die Kloten Dietlikon Jets, wo sie noch heute spielt. Doch der Vereinswechsel war nicht die einzige Veränderung. Denn gleichzeitig stand auch der Übertritt von der obligatorischen Schule in die Lehre an.

«Es war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich habe Berufserfahrung gesammelt, eine Ausbildung abgeschlossen und mich im Sport enorm weiterentwickelt.»

Leonie Wieland, Unihockeyspielerin

Keine Spät- und Wochenenddienste

Für Leonie Wieland, die später einmal Hebamme werden möchte, war klar, dass sie eine Ausbildung im Gesundheitswesen machen will. Und zwar kombiniert mit den vier bis sechs Trainingseinheiten pro Woche. «Ich habe mich informiert, wo ich eine Lehre im Gesundheitswesen mit Leistungssport kombinieren kann. Das war im Spital Menziken möglich, wo ich eine dreijährige Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit machen durfte», sagt Leonie Wieland. Gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber, ihrem Trainer und Harald Gloor, Koordinator Leistungssport und Berufslehre an der Berufsschule Aarau, wurde vor Ausbildungsbeginn eine Zusatzvereinbarung im Lehrvertrag ausgehandelt.

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Diese sah wie folgt aus: Leonie Wieland musste während ihrer dreijährigen Ausbildung keine Spät- und Wochenenddienste übernehmen und erhielt zusätzliche Ferientage für Trainings und Turniere mit der Nationalmannschaft. Im Gegenzug hat sie auf die Berufsmatura verzichtet, damit sie trotz den Trainings und zusätzlichen Ferientagen oft genug im Spital Menziken arbeiten kann.

Lange und intensive Tage

Der Alltag von Leonie Wieland sah während der Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit wie folgt aus: Morgens um 6:30 begann ihr Arbeitstag im Spital Menziken und dauerte bis 15:30 Uhr. Danach gings kurz nach Hause, um etwas zu essen, und dann vier Mal pro Woche mit dem Zug ins Training nach Kloten. Die Zeit im Zug hat sie zum Lernen genutzt. Gegen 23 Uhr war sie jeweils Zuhause. Zusätzlich zu den vier Unihockey-Trainings standen auch noch zwei Einheiten Kraft und Ausdauer auf dem Programm.

«Obwohl mich das Spital Menziken optimal unterstützt hat, war insbesondere der Anfang der Ausbildung sehr anstrengend. Ich musste im Sport, in der Schule und natürlich am Arbeitsplatz Vollgas geben. Ich konnte ja schlecht bei der Arbeit sagen, dass ich wegen dem Sport nicht mein Bestes geben kann – und umgekehrt logischerweise auch nicht. Die Kombination Berufslehre und Leistungssport ist sehr intensiv. Das muss man sich bewusst sein», sagt die 19-Jährige.

Serie «Lehre und Leistungssport kombiniert»

Zusätzlich zum Sportgymnasium und dem Sport-KV gibt es im Kanton Aargau auch die Möglichkeit, eine Sportlehre in industriell-gewerblichen Berufen zu absolvieren. In einer dreiteiligen Serie widmen wir uns detailliert dieser Möglichkeit und beleuchten sie aus verschiedenen Perspektiven.

Teil 1: Lehre und Leistungssport kombinieren? So funktionierts

Teil 2: «Das Wasser steht teilweise bis zum Hals und der Druck ist enorm»

Teil 3: «Leistungssportler auszubilden, ist eine Bereicherung für jeden Betrieb»

Die A-Nati im Visier

Dennoch hat Leonie Wieland ihren Entscheid nicht bereut. «Für mich war es die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich habe in den drei Jahren Berufserfahrung gesammelt, eine Ausbildung abgeschlossen und mich zugleich im Sport enorm weiterentwickelt», sagt Leonie Wieland, die in den drei Jahren zur Stammspielerin beim aktuellen Schweizer Meister Kloten Dietlikon Jets wurde und im September mit der Schweiz an der U19 WM war. Als nächste will Leonie Wieland den Sprung ins A-Nationalteam schaffen. Dafür trainiert sie weiterhin sechs Mal pro Woche. Daneben absolviert sie die Berufsmatura und arbeitet noch immer im Spital Menziken in einem 40-Prozent-Pensum. Die Kombination Ausbildung und Leistungssport geht für Leonie Wieland also auch nach der Lehre weiter.

Kickboxer Roy Cipriano in Aktion

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Auf den Spuren des Vaters

Das Kickboxen wurde Roy Cipriano in die Wiege gelegt. Schon sein Vater Rocco war ein international erfolgreicher Kickboxer. Unter anderem wurde er mehrfacher Weltmeister. Sein Sohn Roy schickt sich nun an, in die Fussstapfen seines Vaters zu treten. Schon in jungen Jahren begann er internationale Wettkämpfe zu bestreiten. «Es war daher schon früh klar, dass wir nach einer Möglichkeit suchen, damit ich auch während meiner Lehre weiterhin international Kickboxen kann», erzählt Roy Cipriano.

Da er schon in der Oberstufe wusste, dass er Zeichner werden möchte, begann er in der Region Wohlen nach einer Lehrstelle zu suchen. Wie es der Zufall wollte, trainierten zu jener Zeit zwei Kids im Kickboxclub Wohlen, wo auf Roy Cipriano trainierte. Der Vater dieser beiden war Geschäftsinhaber des Architekturbüros Landolt & Piscitello Architekten AG in Wohlen. «Ich habe mich bei ihm beworben. Er wusste, wer ich bin und dass ich internationale Wettkämpfe bestreite. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir die Chance gibt, neben der Lehre in seinem Betrieb weiterhin intensiv zu trainieren», sagt Cipriano.

«Ich musste mein Training reduzieren. Das ist natürlich nicht ideal, aber ohne die Möglichkeit der Sportlehre wäre ich sportlich nicht dort, wo ich jetzt bin.»

Roy Cipriano, Kickboxer

Training für die Schule reduziert

Jede Woche bekommt Roy Cipriano einen halben Tag zur Verfügung gestellt, damit er Zeit für die Schularbeiten hat und somit abends trainieren kann. Zusätzlich ist er vom Sportunterricht an der Berufsschule Aarau suspendiert und bekommt zwei Wochen zusätzliche Ferien für Wettkämpfe im Ausland. «Ohne diese Sonderregelung wäre es für mich unmöglich, weiterhin auf internationalem Niveau anzutreten», sagt Cipriano. «Aber auch so muss man sich bewusst sein, dass es brutal schwierig ist, alles unter einen Hut zu bekommen. Schule, Lehre, Familie, Freunde und Sport – da steht einem das Wasser teilweise bis zum Hals und der Druck ist enorm.»

Roy Cipriano absolviert derzeit das letzte Lehrjahr seiner Ausbildung zum Zeichner Fachrichtung Architektur EFZ. Insbesondere die Berufsschule ist in der aktuellen Phase anspruchsvoll. «Ich musste mein Training reduzieren. Sonst schaff ich nicht mehr alles und kann auch die Bedingungen meiner Zusatzvereinbarung nicht erfüllen. Das ist aus sportlicher Sicht natürlich nicht ideal, aber ohne die Möglichkeit der Sportlehre wäre ich sportlich nicht dort, wo ich jetzt bin», sagt Cipriano.

Portrait von Kickboxer Roy Cipriano

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Lehrabschluss und dann die EM

In der Tat hat Roy Cipriano während seiner Lehrzeit grosse Erfolge feiern können. Unter anderem wurde er 2018 Junioren Weltmeister in der Kategorie bis 63 Kilogramm, wurde zum Freiämter Sportler des Jahres gewählt und nahm in diesem Jahr an der Elite WM teil. Doch damit gibt sich Roy Cipriano trotz der Doppelbelastung aus Lehre und Sport nicht zufrieden. Aktuell versucht er, sich ab Sommer einen Platz in der Sport RS zu ergattern. Damit würden sich seine Chancen erheblich verbessern, dass er sich an der EM von seiner besten Seite präsentieren kann. Denn in der Sport RS hätte er ideale Trainingsbedingungen. Sollte Roy Cipriano an der EM eine Top 8 Platzierung erreichen, würde er sich damit für die Europaspiele 2023 in Polen qualifizieren. Die Ziele gehen ihm also noch lange nicht aus. Doch bevor Roy Cipriano auf sportlichem Parkett voll angreifen kann, steht im kommenden Frühling die Lehrabschlussprüfung auf dem Programm.

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