Coronavirus

«Die Vereine müssen sich auf ihre Stärken zurück besinnen»

von Fabio Baranzini – 29. Juni 2020

Bruno Bosshard während eines Referats

Bild: Bundesamt für Sport

Inwiefern trifft die Coronakrise den Breitensport? Was passiert, wenn die Krise noch länger andauert? Wie können Vereine sich vorbereiten und welche Chancen bieten sich in dieser aussergewöhnlichen Situation? Über diese Fragen diskutieren wir mit Bruno Bosshard, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesamt für Sport (BASPO).

Dass die Coronakrise grosse Auswirkungen auf die Sportwelt hat, ist längst klar. Alle Grossanlässe in diesem Sommer wurden abgesagt oder verschoben, viele Meisterschaften wurden unterbrochen. Das hat gravierende Folgen. Und zwar nicht nur für den Spitzensport. Auch der Breitensport hat derzeit zu kämpfen. Und das wird auch weiterhin so bleiben. Vor allem auch was das Finanzielle angeht. Genau darüber haben wir uns mit Bruno Bosshard unterhalten. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Sport (BASPO) und arbeitet dort im Ressort Sportökonomie. Unter anderem arbeitet er derzeit am aufsehenerregenden Projekt «Sportwirtschaft 5.0» von Swiss Olympic und dem BASPO mit, das sich mit der Zukunft des Schweizer Sports auseinandersetzt.

Bruno, wenn wir die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise für den Breitensport betrachten, wie präsentiert sich diesbezüglich die Lage?
Die Coronakrise hat im Breitensport Wettkämpfe, Trainings und Events lahmgelegt, sprich den gesamten Vereinssport. Die Folge davon war, dass die Schweizerinnen und Schweizer immer mehr Individualsport anstatt Mannschaftssportarten betrieben haben. Wenn man jetzt rausgeht, sieht man sehr viele Jogger, Wanderer und Biker. Die Studie «Sport Schweiz» (letzte Aktualisierung 2020) zeigt die Entwicklung der Individualisierung seit vielen Jahren. Der Vereinssport geht tendenziell zurück, obwohl Herr und Frau Schweizer sportlicher werden. Dieser Trend dürfte zwangsläufig zu einem Mitgliederrückgang bei Vereinen führen, die im Mannschaftssport aktiv sind. Weniger Mitglieder heisst dann auch weniger Einnahmen für die Vereine, die ja in erster Linie von den Mitgliederbeiträgen und den Events leben.

«Unsere Prognosen sagen, dass die meisten kleinen und mittelgrossen Vereine diese Ausfälle kompensieren können.»

Bruno Bosshard, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesamt für Sport

Du sprichst die Events an. Viele dieser Veranstaltungen konnten ja auch nicht ausgetragen werden.
Genau, und damit sind wir beim zweiten Punkt. Studien zeigen, dass die Vereine rund 9 Prozent ihrer Einnahmen durch Festwirtschaften und 4 Prozent durch Sonderaktionen stemmen. Dies zeigt die Relevanz von Vereinsanlässen wie Grümpelturnieren, Turnfesten, Frühlingsfesten oder ähnlichem. Diese Einnahmen fallen nun ebenfalls weg. Unsere Prognosen sagen, dass die meisten kleinen und mittelgrossen Vereine diese Ausfälle kompensieren können. Allerdings nur dann, wenn die Krise nicht länger andauert und im nächsten Jahr diese Events wieder wie gewohnt stattfinden können.

Was wäre denn, wenn die Krise länger andauern und auch im nächsten Jahr noch kein Normalbetrieb herrschen würde?
Dann würde es auch für die kleinen und mittelgrossen Sportvereine schwierig werden. Viele wären dann unter anderem auf die Solidarität ihrer Mitglieder angewiesen. Wahrscheinlich würden wir dann aber einen stärkeren Mitgliederrückgang erleben.

Nur mit der Solidarität der Mitglieder wäre eine längere Krise aber wohl nicht zu meistern. Was wären weitere Probleme, mit denen der Breitensport im Fall einer längeren Krise konfrontiert würde?
Das Hauptproblem wäre, dass die Kosten für die Vereine ansteigen würden. Wenn das Kleingruppentraining zum neuen Standard werden würde, stiege die Anzahl benötigter Trainer und damit auch die Trainerkosten. Verschiedene Mannschaftssportarten wie Handball könnten sogar das eigentliche Spiel nicht mehr austragen. Zudem würden auch mehr Hallenplätze benötigt. Auch das kostet mehr und Hallenplätze sind ohnehin an vielen Orten knapp. Hier stellt sich die Frage, ob der aktuelle Baustandard für Sporthallen zielführend ist. Wenn man eine Dreifach-Halle für beispielsweise eine Million Franken bauen könnte, dann wären auch mittelgrosse Vereine in der Lage, solche Projekte anzustossen.

«Das würde bedeuten, dass die Sportwirtschaft ein Minus von 684 Millionen Franken macht und 5’874 Stellen hinnehmen müsste.»

Bruno Bosshard, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesamt für Sport

Obwohl noch nicht absehbar ist, ob der «worst case» einer längeren Krise eintritt, schlagen Swiss Olympic und das Bundesamt für Sport bereits jetzt Alarm. Gemeinsam wurde das Projekt «Sportwirtschaft 5.0» ins Leben gerufen, an dem auch du mitarbeitest. Darin steht unter anderem, dass die Folgen für den Sport aufgrund der Coronakrise erst in zwei bis drei Jahren eintreffen werden. Warum?
Die Sportwirtschaft ist stark abhängig von der Gesamtwirtschaft. Wenn der Tourismus zurückgeht, Sponsoren ausbleiben, Frau und Herr Schweizer weniger liquide sind, dann fällt dies auf den Sport zurück. Es dürfte aufgrund der Coronakrise gerade für mittlere und kleine Vereine und Verbände schwierig werden, Sponsoren zu halten und/oder neue zu gewinnen. Das ist ein Problem. Auf der anderen Seite sind grosse Vereine und Verbände abhängig von den grossen Events, welche ohne Zuschauer nicht finanzierbar sind. Aus diesen Gründen wird der Sport von Krisen mit wirtschaftlichen Folgen mit Verzögerung getroffen. Wenn es der Wirtschaft schlecht geht, kommen auf den Sport zeitlich verzögert grosse Herausforderungen zu.  Das wird bei der Coronakrise nicht anders sein.

Gibt es diesbezüglich schon erste Prognosen?
Das ist schwer abzuschätzen. Inzwischen ist die Sportwirtschaft auch für die Gesamtwirtschaft von Bedeutung geworden. 2017 erwirtschaftete die Sportwirtschaft einen Umsatz von CHF 22.2 Mia. und eine Bruttowertschöpfung von 11,4 Milliarden Franken. Dadurch wird ein Beschäftigungsvolumen von 97’900 vollzeitäquivalenten Stellen (VZÄ) generiert. Aktuelle Konjunkturprognosen gehen von einem Rückgang des BIPs von 6% aus. Das würde bedeuten, dass die Sportwirtschaft ein Minus von 684 Millionen Franken (Bruttowertschöpfung) macht und 5’874 Stellen (VZÄ) hinnehmen müsste. Das wäre einschneidend.

Was sollen denn Vereine tun, um die Krise möglichst unbeschadet zu überstehen?
Vereine und auch Verbände sollen die Krise unbedingt als Chance sehen. Das Schlimmste wäre, die Krise einfach auszusitzen. Vereine müssen unbedingt aktiv werden und ihren Mitgliedern etwas bieten – gerade in Anbetracht der anfangs erwähnten Entwicklung hin in Richtung des Individualsports. Es bietet sich auch an, jetzt die eingerosteten und veralteten Strukturen aufzubrechen und Neues zu wagen. Am Ende müssen sich die Vereine auf ihre Stärken zurückbesinnen. Sie sollen das, was sie gut machen, weitermachen. So könnten sogar neue Angebote und Trainingsmöglichkeiten entstehen.

Wo siehst du da am meisten Potenzial?
Wir haben vorhin bereits einmal über die Infrastruktur gesprochen. Hallenplätze sind an vielen Orten Mangelware und auch andere Sportanlagen sind stark ausgelastet. Dies jedoch sehr oft nur während den Abendstunden. Es gäbe also noch viel Potenzial mit alternativen Trainingszeiten – beispielsweise über den Mittag, früh morgens oder an den Wochenenden. Weiter sollen Vereine aufeinander zugehen. Warum bieten Vereine nicht gemeinsame Trainings wie Athletiktraining an? Warum werden die Hallenkapazitäten nicht flexibel vergeben, wenn ein Mannschaftstraining ausfällt oder während der Zwischensaison? Hier müssen die Vereine innovativ werden und mit guten Ideen auf die Gemeinden zugehen. Wenn es um die Nutzung der Sportinfrastruktur in der Schweiz geht, haben wir noch unglaublich viel Potenzial. Wir würden einen riesen Schritt nach vorne machen, wenn es für Sportanlagen regionale Konzepte gäbe, anstatt dass jede Gemeinde nur für sich schaut. Ich hoffe, dass die Coronakrise eine positive Entwicklung in diesem Bereich zur Folge hat.